„Die Utopie in sich selbst finden“

■ Jean-Christophe Ammann über Dahns „wilde“ Bilder

taz: Zum „Szenenwechsel V“ im Museum für Moderne Kunst zeigen Sie eine Reihe mit Arbeiten auf Papier von Walter Dahn. Worin liegt die Qualität der Arbeiten?

Jean-Christophe Ammann: Jeder, der die Wand anschaut, wird in irgendeiner Form seine eigene Einsamkeit erkennen.

Es geht doch nicht nur um Gefühlsmäßiges oder Inhaltliches – das Ganze ist doch aufgehoben in einer formal-künstlerischen Qualität, in der Art, wie die Farben zusammengebracht sind, wie die Linien verlaufen.

Ein Horizont ist für ihn ein Horizont. Mit wenigen Pinselstrichen entsteht beispielsweise eine nasse Berglandschaft. Es geht um einen Geruch oder Zustand, den man erlebt, wenn man draußen im Regen ist und die Nässe in den Körper eindringt. Ich empfinde das körperlich. Und seine Physiognomien, die Darstellungen von menschlichen Gesichtern und Körpern, haben alle etwas Verstörtes.

Nicht etwas Erstauntes?

Ja, es ist dieser Blick, so wie wenn ich jemandem etwas erzähle und er sieht mich dabei mit großen Augen an.

Er schafft es, irgendwie unverbraucht zu sein.

Aber in einem Ausmaß, das ihn auch hindert, zu einer Form seines Werkes zu stehen. Walter Dahn kann alles, und er kann sich das auch verweigern, weil er zum Beispiel das Gefühl hat, daß das, was er tut, nicht der notwendigen Offenheit entspricht. Ich vertraue ihm. Er kann die Welt bewegen, wenn er das will.

Kommt für Sie dann also das Menschliche vor dem Künstlerischen?

Nein. Wenn ein Museumsleiter ein gutes Verhältnis zu einem Künstler hat, dann geht das nur über das Werk. Alles andere wäre sentimental. Sentimental ist das Gegenteil von emotional.

Walter Dahn zeichnet nur noch. Meinen Sie, daß er irgendwann vielleicht wieder zur Malerei kommt?

Die Malerei ist das Schwierigste. Sie setzt Sinnlichkeit voraus. Wir leben in einer unsinnlichen Zeit, wo die Fliehkräfte so groß sind, daß sie die Identität des einzelnen in Mitleidenschaft ziehen.

Könnte man sagen, daß Ihr Museum unter anderem auch erforscht, wie es sich zur Zeit mit den Menschen verhält?

Es geht darum, die Utopie in sich selbst zu finden. Der Ort der Utopie hat sich verlagert. Als Künstler muß ich hieraus meine Kompetenz schaffen. Interview: Marietta Franke