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Im einfühlsamen Sozialarbeiterton

■ „Glaube, Liebe, Hoffnung“: Andreas Voigts Film über Leipzigs rechte Szene

Die Zeitungen, die vor dem Kiosk im Leipziger Bahnhof auf Käufer warten, sind seltsam. Neben Jobvermittlungs- und diversen Kleinanzeigenblättern, seltsamen Periodika wie Die andere Realität – Wissenschaftliche Zeitung über parapsychologische / esoterische Erkenntnisse, steht das normale Programm: die Leipziger Volkszeitung zum Beispiel. Die macht mit einem Farbfoto auf. Darauf nähert sich dem Kopf eines lächelnden Aboriginal im folkloristischen Outfit eine blonde „Besucherin der Tourismusbörse in Berlin“ mit ihrem Gesicht, als wollte sie ihm ein „Küßchen“ geben: „Da freut sich Willy, der Ureinwohner von Papua-Neuguinea“. Zu diesem Aufmacherfoto und dem Anlaß, der mich in die Messestadt geführt hatte – die Leipziger Premiere eines Dokumentarfilms über „radikale Jugendliche“ aus Leipzig –, paßte auch die Headline der Leipziger Morgenpost: „Chaoten überfielen McDonald's“.

Die mit „Baseballschlägern, Steinen, Motorradketten“ bewaffnete „Meute“, „die für Ladendiebstähle berüchtigten Autonomen“ aus Connewitz, die sich ab und an Schlachten mit den Mitgliedern eines Wachdienstes liefern, der seine Leute angeblich aus dem rechtsradikalen Lager rekrutiert (das sei auch so, wird der Dokumentarfilm dann nahelegen), waren wohl auch vor dem „Kino im Grassi“ gewesen, um zu verhindern, daß sich die neonazistischen Helden von „Glaube, Liebe, Hoffnung“, den Film gemütlich angucken konnten. Als ich ankam, hieß es, sie hätten gerade einem der Filmhelden Portemonnaie und Jacke geklaut, ein wenig geprügelt und verhindert, daß Dirk Zimmermann, Ex- FAP und der einzige Protagonist, der im Film mit einem geschlossenen rechtsradikalen Weltbild durch die Gegend rennt, mit seinen Leuten ins Kino kam. Das mag zum einen verständlich sein – es gehört schon viel Naivität dazu, jungen Autonomen angesichts stadtbekannter Rechtsradikaler einen gewaltfreien Diskurs abzuverlangen –, zum anderen war es für die Berichterstatter ziemlich enttäuschend. Denn es wäre natürlich interessant gewesen zu hören, wie gerade die auf den Film wohl reagiert hätten.

Nicht nur den Neonazis wurde der Kinobesuch verwehrt. Auch „Papa“, der sympathische, linke Sharpskinheld aus „Glaube, Liebe, Hoffnung“, der nur eine „Alternative sieht zu verhindern, daß es bald ganz gewaltig kracht – PDS“ sei bedroht worden, wie der Regisseur Andreas Voigt später erzählte, und hätte das Weite suchen müssen.

So war das sehr zahlreich erschienene „normale“ Publikum des Films, der eine halbe Stunde vor Beginn schon ausverkauft war, mehr oder minder unter sich. Als Kulturereignis fand die Vorstellung ohne die Betroffenen statt. Doch Leipzig ist ein Dorf. Viele ZuschauerInnen gaben sich durch Wiedererkennungslachen als

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Freunde oder Bekannte der Porträtierten zu erkennen.

„Glaube, Liebe, Hoffnung“, der vierte Leipzigfilm von Andreas Voigt, beeindruckt in seiner stillen, genauen Komposition. In einem traurig-schönen Schwarzweiß präsentiert Voigt eine trostlose Stadtlandschaft, in der nie die Sonne scheint, Arbeiter nichts mehr zu tun haben oder sich auf industrieromantischen Brachflächen als hübsches Genrebild („Arbeiter in öder Stadtlandschaft“) formieren und mit seltsamem Galgenhumor ihre Tätigkeit erläutern: „Wir machen hier alles kaputt.“ Ein fieser Westler schaut als neuer Herr über die Dächer der Stadt. In riesigen Kellern mit niedrigen Decken dagegen machen Neonazibands Krach.

Die meist mehr oder weniger rechtsradikalen Jugendlichen, deren Lebensweg Voigt ein Jahr lang begleitete, sind Loser. Sie schmücken ihre Wohnungen mit Hitlerbildern, Gasmasken und stehen auf „Fun“. Sie machen spaßige Lieder, in denen es heißt: „Ausländer rein ins Gas“. Im einfühlsamen Sozialarbeiterton befragt sie der Regisseur zu ihrem Leben, und in dieser intimen Gesprächsatmosphäre wirken sie rührend, lustig, traurig. Einer redet aus lauter Einsamkeit gerne mit seinem Vogel: Verlorene Jungs aus traurigen Elternhäusern, die keine Arbeit haben.

Eindeutig sind nur Dirk Zimmermann – ein „echter böser Neonazi“ – und „Papa“, der sympathische Sharpskin. Etwas skandalös bleibt, daß Voigt die konkrete Gewalt, die seine Jungs ausüben (einer der Sympathischsten zog damals noch ab und an los, um Schwule im Stadtpark zu „klatschen“), nur diffus andeutet. Eine ältere Frau im Publikum meinte dazu, das hätte sie gefreut, denn vor den Gewaltszenen, die sie in dem Film vermutet hatte, hätte sie sich sehr gefürchtet.

Zudem macht Voigt einmal seinem Helden auch ein ziemlich skandalöses Zugeständnis: Es sei doch egal, sagt er da, ob „600.000 oder sechs Millionen Juden“ vergast worden seien. Beim Genozid käme es doch nicht auf Zahlen an, meint Voigt nach der Vorstellung. Entscheidend sei doch, daß sein Gesprächspartner von „Fun“ rede. „Aus Fun werden Leute umgebracht; weil's Spaß macht. Das kriegst du auch durch Erziehung nicht raus. Die Frage ist nur, ob man gesellschaftliche Umstände so ändern kann, daß ein solcher Mechanismus nicht nach außen kommt.“

Gerade auch mit seinen inhaltlichen Schwächen ist „Glaube, Liebe, Hoffnung“, von dem es zur Zeit leider nur eine Kopie gibt, ein wichtiges Zeitdokument; dokumentiert er doch nicht nur die „radikalen Jugendlichen“, sondern auch die nicht ganz untypischen Schwierigkeiten im Umgang mit ihnen.

Auf der Rückfahrt kommt einem die Gegend um Leipzig extrem amerikanisch vor. Einsamhell leuchten McDonald's-Läden neben der Autobahn. Detlef Kuhlbrodt

Andreas Voigt: „Glaube, Liebe, Hoffnung“. Deutschland 1994

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