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Militärischer Blindgänger – politischer Sprengstoff

■ Nordirische IRA nahm den Londoner Flughafen Heathrow unter Granatbeschuß Bei dem Anschlag wurde niemand verletzt / Keine der Granaten explodierte

Dublin (taz) – Während die Parlamentarier im britischen Unterhaus am Mittwoch abend die Anti- Terrorismus-Gesetze, die der Polizei weitreichende Vollmachten einräumen, um ein weiteres Jahr verlängerten, feuerte die Irisch- Republikanische Armee (IRA) fünf Granaten auf den Londoner Flughafen Heathrow ab. 50 Minuten zuvor hatte die IRA eine telefonische Warnung an sechs Nachrichtenagenturen durchgegeben und dabei ein Kennwort benutzt, das der Polizei die Echtheit der Warnung bestätigte. Dennoch wurde der Flughafen nicht evakuiert, weil „wir nicht gewußt hätten, wohin mit den ganzen Leuten“, sagte ein Beamter. In Heathrow, dem verkehrsreichsten Flughafen Europas, sind 20.000 Menschen beschäftigt. Die IRA, die über zwei aktive Einheiten in Südengland und eine im Norden verfügt, hat offenbar das Risiko eines Blutbades in Kauf genommen.

Bei dem Anschlag wurde niemand verletzt, weil keine der Granaten explodierte. Die IRA hatte sie von dem Parkplatz eines Flughafenhotels abgefeuert. Zwei Granaten fielen auf die Landebahn Nord, wo zu der Zeit jedoch kein Flugverkehr herrschte. Die Aktion löste ein Chaos am Himmel über Heathrow aus: Dutzende von Flugzeugen mußten Warteschleifen drehen, bis sie nach Gatwick umgeleitet wurden. Doch noch eine Dreiviertelstunde nach dem Angriff durften Flugzeuge starten. Die Pilotenvereinigung hat eine Untersuchung darüber gefordert, warum der Flugverkehr erst dann ganz eingestellt wurde.

Der Anschlag war die erste große IRA-Aktion in England seit Unterzeichnung der „Downing-Street-Erklärung“ vom 15. Dezember. Darin hatten die Dubliner und die Londoner Regierung eine gemeinsame Strategie zur Beendigung des Nordirland-Konflikts dargelegt. Einige Beobachter vermuten nun, daß sich in der IRA die Fraktion durchgesetzt habe, die für eine Ablehnung der „Downing-Street-Erklärung“ und gegen einen Waffenstillstand eintritt.

Möglicherweise sollte der Anschlag auch die britische Regierung zu weiteren Zugeständnissen zwingen, die über die Erklärung hinausgehen. Damit ist jedoch nicht zu rechnen. Der irische Außenminister Dick Spring sagte gestern vor der routinemäßigen Sitzung der anglo-irischen Regierungskonferenz, daß die Frist langsam ablaufe, in der die IRA über die Erklärung entscheiden müsse. Was danach geschehen soll, weiß jedoch niemand, nachdem die beiden nordirischen unionistischen Parteien am Mittwoch erneut jegliche Gespräche zurückgewiesen haben, an denen die Dubliner Regierung beteiligt ist. Ralf Sotscheck

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