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Entmündigung durch Versorgung -betr.: Bremen verdorrt im Sparzwang", taz vom 10.3.94

betr.: Bremen verdorrt im Sparzwang, taz vom 10.3.1994

Natürlich, wenn man die Liste der Projekte liest, deren Ende angekündigt ist, fällt einem erst einmal nichts mehr ein. Keines ist darunter. was überflüssig, unsinnig oder sonst was wäre. In der gleichen taz war vorne ein Interview mit Andre Gorz, das mich denn doch wieder ins Nachdenken brachte.

Der real-existierende Sozialismus war ja wesentlich eine Mischung aus Entmündigung und Versorgung. Beides zusammengenommen hat gesellschaftliche Entwicklung stillgestellt und letztlich zur Pleite geführt. Bremen, das realsozialisitischste Bundesland-West, hat eine ähnliche Entwicklung hinter sich. Bremens „Vaterpartei“ wollte Gutes tun vor allem auch für benachteiligte Menschen und schaffte in Vielem soziale Standards, die zum Teil für die BRD einmalig waren. Die absoluten Mehrheiten konnten so „erkauft“ werden, immer versehen mit einer Portion Entmündigung (am deutlichsten in der Schulpolitik), bis Bremens Pleite sich abzeichnete, hingen fast sämtliche Ideen am Staatstropf. Mit dem Durchschlagen der Sparpolitik war es zu Ende mit der Mehrheit. Und wie in den neuen Bundesländern regiert, mediengerecht verstärkt, der allgmeine Frust. Dieser endet entweder „rechts“ oder in neuer gesellschaftlicher Phantasie, denn eins ist sicher, das Geld fürs Alte, noch weniger für Mehr und Neues, wird es nicht mehr geben. Auch nicht, wenn das Bauressort 5x und der Bundesverteidigungsetat 10x verfrühstückt wird.

Jetzt bin ich bei Gorz. Seine These u.a. ist, daß die BRD perspektivisch eher mit zehn als mit fünf Millionen Arbeitslosen rechnen muß. Vor dem Hintergrund, daß Konsum und Arbeit die wesentlichen gesellschaftlichen Intergrationsmomente sind, ist es unschwer, sich auszumalen, was 10 Millionen + Angehörige an gesellschaflticher Desintegration bedeuten. Soviel an bezahlter Integrationsarbeit von Alten, Kindern, Arbeitslosen, Ausländern, Behinderten, Mädchen, Alleinerziehenden, Drogenabhängigen usw. wird nicht aufzubringen sein. Viel von dem leistete früher die Familie (Frauen und Alte). Doch deren Erneuerung wird es auch nicht mehr geben. Es müssen sich neue Formen „unbezahlter“ gesellschaftlicher Gemeinswesensarbeit entwickeln. Was nur funktionieren kann, wenn Arbeit und Lohn (Existenzsicherung) so umverteilt werden, das alle - Frauen und Männer - daran partizipieren, ihr Lebensunterhalt menschenwürdig gesichert werden kann. Vielleicht kann Bremens öffentlicher Dienst eine Pilotfunktion übernehmen, der sich abzeichnende Tarifvertrag scheint hier Möglichekiten zu bieten: Arbeitszeitverkürzung für alle, Lohnausgleich nur für untere Tarifgruppen, dafür nicht nur Beschäftigungssicherung, sondern auch Neueinstellungen. Eine Persepektive wird es nur geben, wenn die Entlassung aus Versorgung und Entmündigung zu selbstbewußten gesellschaftlichen Handeln führt.

Peter Rüdel

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