: Die Welt op platt
■ Das Naturereignis der Bremer Literaturlandschaft: Heinrich Schmidt-Barrien über seine Lieblingssprache
Als er mit 52 Jahren den Bremer Literaturpreis erhielt, für seine „Tanzgeschichten“, galt er als spätes Talent. Das war 1954. Jetzt hatte Heinrich Schmidt-Barrien mal wieder Buchpremiere zu feiern: „Aus dunklen Tagen“, bremische Novellen und Memoiren vom Ende des Zweiten Weltkriegs, erschienen soeben im heimischen „Stint“-Verlag. Zwischen den beiden Ereignissen hat er Dutzende von Novellen, Gedichten, Theaterstücken auf Platt- und Hochdeutsch geschrieben, und nebenbei noch kulturgeschichtliche Werke über Land und Leute verfaßt. Schon sitzt er am nächsten Roman (übers Teufelsmoor). Zwischendurch fand er Zeit, ein wenig von seiner allumfassenden Leidenschaft zu erzählen.
Was finden Sie denn so liebenswert am Plattdeutschen?
Also zunächst muß ich sagen, daß ich als Kind absolut zweisprachig aufgewachsen bin. Mein Vater war Pastor; da sind wir von einer Gemeinde und einer Sprachlandschaft in die andere gewandert; schließlich sind wir in Barrien bei Syke gelandet. Dort bin ich aufgewachsen. Es war so, daß wir natürlich zuhause in der Familie nur hochdeutsch gesprochen haben. Aber schon in der Küche, mit dem Hausmädchen, da fing die plattdeutsche Sprache an. Außerdem lasen meine Eltern – es gab ja noch kein Radio oder Fernsehen – uns abends, wenn sich die ganze Familie versammelt hatte, uns plattdeutsch vor. Und zwar Reuter, den Mecklenburger, und den Bremer Droste. Aber wenn ich dann die Haustür hinter mir zugemacht hatte, dann war die Welt vor mir nur noch platt. Und das Plattdeutsch dieser Barrier Ortschaft, das ein ganz besonderes ist, habe ich in mich aufgesogen. In der Schule, im Alten Gymnasium in Bremen, mußte ich mich oft auslachen lassen über meine komische Art zu sprechen; die war durchaus immer mundartlich gefärbt, nicht wie das bremische Hochdeutsch, was ich heute noch scheußlich finde.
Was finden Sie denn so scheußlich daran?
Dieses breitgezogene „A“. Der Bremer spricht ein ganz anderes Hochdeutsch als das übrige Land. Das soll auch so bleiben, das wollen wir gar nicht beanstanden. Aber ob ich das schön finde, ist eine andere Sache. Na, jedenfalls wurde ich immer gehänselt mit meinem Plattdeutsch, besonders mit meinem Zungen-R. Der Bremer spricht ja mit einem „R“ irgendwo hinten im Hals, nicht wahr. Und ich hatte das „R“ vorne auf der Zunge, wie in: „Rrroland, der Rrriese am Rrrathaus zu Brrremen.“ Oder auch: „Rrroland mit die spitzen Knee, sach mol, deit di dat nich weh?“ – Das war meine Sprache.
In einem kleinen Aufsatz haben Sie mal geschrieben: Das Plattdeutsche hat so eine liebenswürdige Art, weil es auch etwas Entschärfendes besitzt.
Ja, man kann auf platt sehr schön schimpfen, und die Worte klingen nicht ganz so hart wie im Hochdeutschen. Aber was ich vor allem am Plattdeutschen schätze, ist seine Ursprünglichkeit. Das ist nichts irgendwie Gefärbtes, da sind auch keine richtigen Fremdwörter drin, und wenn überhaupt, sind sie gleich komplett aus dem Französischen ins Plattdeutsche übernommen: „Chaussee“ und „Portemonnaie“ zum Beispiel. Also dieses Ursprüngliche hat mich immer besonders berührt. Manchmal aber auch, wie ich zugeben muß, die besondere ortsgebundene Färbung einiger Dialekte.
Was ist das Besondere an Ihrem Barrier Platt?
Das Plattdeutsche hat ja die Neigung, abzuschleifen. Und das ist in Barrien und der weiteren Umgebung besonders ausgeprägt. Da gibt es zum Beispiel einen Nachbarort namens Pestinghausen. Auf barriensisch sagt man dazu „Pschusen“. Oder Sörhausen, der heißt dort „Srusen“. Es gibt fast schon keine Vokale mehr. Was meinen Sie, was das für mich bedeutet hat, als ich meine ersten Geschichten in dieser Mundart schreiben wollte. Da wußte ich erstmal gar nicht, wie ich das in Buchstaben fassen sollte.
Gibt es nicht genaue Rechtschreibregeln auch für das Plattdeutsche?
Ja, die gibt es; ich hätte beinahe gesagt: leider. In Hamburg gibt es einen Dr. Sass, der hat Richtlinien für die plattdeutsche Rechtschreibung genauestens festgelegt. Das ist auch aufgenommen und bestätigt worden vom Institut für Niederdeutsche Sprache in Bremen, dessen Gründung übrigens mir zu verdanken ist.
Halten Sie sich denn selbst an diese Regeln?
Nein, daran halte ich mich nicht genau. Ich bin der Meinung, daß man sich da eine gewisse persönliche Selbständigkeit bewahren muß. Unter Umständen muß man auch in der Färbung der Sprache Rücksicht darauf nehmen, wie man es selbst spricht. Besonders die Kleinigkeiten, die einem angeboren sind und die zum Sprachschatz des Individuums gehören – die darf man nicht einfach wegwerfen.
Mit dem Plattdeutschen haben Sie sich ja nun nicht nur literarisch auseinandergesetzt; es gibt geografische Bücher, kulturgeschichtliche Notizen und Bearbeitungen mittelalterlicher Kirchenlieder von Ihnen. Wollen Sie denn alles, was es an plattdeutscher Kultur gibt, aufbewahren?
Ach, das war zum Teil einfach zum Brotwerb. Fast zehn Jahre lang war ich zum Beispiel in der Böttcherstraße tätig gewesen, als Leiter der Kulturabteilung, persönlich berufen durch Ludwig Roselius. Das war in den dreißiger Jahren, bis die Nazis kamen. Im Paula-Becker-Modersohn-Haus hatte er bereits eine sogenannte „plattdütsche Döns“ eingerichtet.
Plattdütsche was?
Eine plattdeutsche Stube; da mußte ich jeden Tag von Elf bis Eins eine plattdeutsche Sprechstunde abhalten. Da kamen Leute und wollten Auskunft über die Sprache haben. Aber wir haben uns auch über plattdeutsche Lieder, Gedichte und Autoren unterhalten; darüber, was lesenswert sei und was nicht; also alles, was irgendwie zur plattdeutschen Welt gehörte, aber mehr in einem Plauderton.
Als Sie 1954 den ersten Bremer Literaturpreis bekamen, sagte Rudolf Alexander Schröder in seiner Laudatio sinngemäß: Ihr Schreiben sei so stark mit der Natur verbunden, das sei schon fast wie ein „Naturereignis“.
Das hat mich damals sehr gerührt. Aber ich schreibe ja im Grunde so, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Was mir einfällt, das schreibe ich so gut wie möglich auf. Daß man einen bestimmten Satz in irgendeine Kunstform bringen könnte, das war mir alles nicht bewußt. Damals schrieb mir der Feuilleton-Chef der Weser-Zeitung auch: „Sie haben eine sehr beachtliche Novelle geschrieben.“ Ich wußte überhaupt nicht, was eine Novelle war. Das kam einfach so. Wie Schröder gesagt hat: ein Naturereignis. Fragen: Thomas Wolff
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