Bis 1998 die Luft anhalten

Bundesrat verabschiedet Sommersmog-Verordnung / Mehrheit lehnte Einführung scharfer Eingreifwerte für Benzol und Ruß ab  ■ Von H.-J. Tenhagen und Marion Wigand

Bonn/Berlin (taz) – Der Bundesrat hat mit großer Mehrheit gestern die sogenannte Sommersmog-Verordnung beschlossen. Mit einer Änderung des Paragraphen 40, Absatz zwei des Bundesimmissionsschutzgesetzes können Städte und Gemeinden künftig Straßen und ganze Stadtgebiete für Autos sperren, wenn die Luft dort dauerhaft zu dick wird. Die sommerliche Ozonbelastung selbst wird damit nach Ansicht von Fachleuten aber kaum verringert.

Die Verordnung wirkt in zwei Stufen. Wo ab Juli 1995 die Belastung mit krebserregendem Benzol im Jahresschnitt über 15 Mikrogramm (0,000015 g) pro Kubikmeter Luft steigt, können die lokalen Behörden alte Stinkkisten oder sogar alle Autos aussperren. Das gleiche gilt für Stickoxid-Werte (NOX) von 160 Mikrogramm und einen Rußregen von 14 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Ab Sommer 1998 sollen die Werte für Benzol und Ruß auf 10 beziehungsweise 8 Mikrogramm gesenkt werden. Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU), dessen Ministerium ursprünglich die schärferen Werte sofort hatte haben wollen, meinte gestern, es sei wichtig, daß die Verordnung noch vor dem Sommer komme und „von allen Beteiligten auch wirklich umgesetzt werden kann“.

Der saarländische Umweltminister Jo Leinen (SPD) hatte für die Mehrheit der Umweltminister im Bundesrat noch einmal den Versuch gemacht, die deutlich schärferen Grenzwerte für Ruß und Benzol ab sofort durchzusetzen: „Vorbeugen ist besser als reparieren“, meinte er. Die 7 bis 15 Millionen Mark für das Meßnetz seien für den Gesundheitsschutz der BürgerInnen jedenfalls gut angelegt. In den Landeskabinetten waren die Vorbeuger aber offenbar in der Minderheit und die Lobby der Autoindustrie in der Mehrheit, jedenfalls fand der Vorstoß der Umweltminister im von der SPD dominierten Bundesrat keine Mehrheit.

Nicht nur die meisten Umweltminister, auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und Greenpeace halten die gestern verabschiedeten Eingreifwerte für viel zu hoch. „Die Politiker haben die Grenzwerte an die gegebenen Belastungen angepaßt“, meinten Klaus-Peter Weiner vom BUND und Karsten Smid von Greenpeace unisono. In Kommunen wie Berlin und im Ruhrgebiet könnten heute ständig Ruß und Benzolwerte um 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gemessen werden. Auch am Sommersmog werde sich mit der Verordnung gar nichts ändern, der Stickoxidwert sei um die Hälfte zu hoch. Mit den neuen Eingreifwerten werde den Kommunen nur bei wirklich stark befahrenen Straßen eine Handhabe für Sperrungen gegeben. „Das sind die Werte der Automobilindustrie.“

In der Tat: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat in seinem jüngsten Gutachten die lasche Politik von Bund und Ländern kritisiert und eine neunzigprozentige Reduzierung krebserregender Schadstoffe aus dem Autoverkehr gefordert. Und die Arbeitsgruppe „Krebsrisiko durch Luftverunreinigungen“ des Länderausschusses für Immissionsschutz“ hatte 1991 für Rußpartikel bei einer Belastung von 1,5 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft sieben zusätzliche Todesfälle und 40 Menschen mit Krebstumoren pro 100.000 Einwohner prognostiziert. Die neuen Eingreifwerte für Ruß liegen zehnmal so hoch.