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■ StandbildJugendsünden

Ton, Steine, Scherben/Schröder Roadshow, Fr., 23 Uhr, West 3

Die Nostalgiewelle trägt jetzt bereits die Achtziger an Land, gewiß das peinlichste aller Jahrzehnte. Auch oben links erinnert man sich, voller Wehmut gar. Wie war das eigentlich damals, Herr Wagner? Frühsommer 1983. Rock- und Popmusik besteht aus Resten der „Neuen Deutschen Welle“. Alle lieben Nena. Die Politik hat gerade den Wechsel zu Kohl vollzogen. Die Friedensbewegung versucht, die Pershings und Cruise Missiles zu verhindern. Das Fernsehen hat drei Programme. Den „Scheibenwischer“ gibt's schon. Dallas und Denver bestimmen den Rest.

Schwere und düstere Zeiten also. Allein ein von unbeugsamen Musikern bevölkerter Tourbus hört nicht auf, dem Feind Widerstand zu leisten: „Zwei Bands gehen gemeinsam in Deutschland West auf Tournee, um dem Publikum zu zeigen, daß Rockmusik und intelligente deutsche Texte eine überzeugende Einheit bilden können.“ Die Namen der Bands: Schröder Roadshow und Ton, Steine, Scherben. Pausenclown: Eisi Gulp. Christian Wagner ist mit der Kamera dabei. Nun, anno '94, schlägt er das Fotoalbum noch einmal auf, zeigt seine Impressionen vom Touralltag, Konzertausschnitte, Interviewszenen. Daß da einer vom Krefelder Appell noch nie gehört hat, „heißt nicht, daß ich mich nicht damit beschäftige oder was dagegen tue. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, ... daß mich das im Gegenteil manchmal unheimlich bedrückt.“ Dieses birnenweiche Gestammel stammt von einem der Musiker, die sich auf der Bühne als „Brüder der romantischen Verlierer“ priesen, „unsere Freunde, die Asozialen“ besangen und „Macht kaputt, was euch kaputtmacht“ forderten (was aber, unter uns, doch gar nicht so wörtlich gemeint war).

„Alles Lüge“, sang Rio Reiser später, nach Auflösung der Scherben, und recht hat er – wie konnten wir bloß ein Schröder- Roadshow-Poster in unser WG- Zimmer hängen? Und muß man unbedingt vom Fernsehen an diese beschämenden Jugendsünden erinnert werden? Her mit der Fernbedienung – macht kaputt, was euch kaputtmacht! Harald Keller

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