: Teures Stadtfest statt „autoarmer City“
■ Handelskammer führt den Senat am Nasenring vor: statt Straßen nur paar Parkplätze sperren
Zwei Jahre haben Beiräte, Parteien, Fraktionen, SenatorInnen ud Kaufleute diskutiert, nun haben sich die Fronten endlich vollends verhärtet. Die Bausenatorin Eva-Maria Lemke-Schulte hat gestern den VertreterInnen der Koalition den Minimalkonsens mit der Handelskammer vorgelegt. Der ist so dürftig, daß die Grünen sofort sagten: „Nicht mit uns.“
Mit dem ursprünglich vom Bauressort geplanten und von den Grünen gut geheißenen Modellversuch „Autofreie Innenstadt“ hat der jetzige Vorschlag nichts mehr gemein: Nach dem Vorschlag der Bausenatorin soll der Versuch nicht mehr während sechs Wochen, auch nicht an zwei verkaufsoffenen Samstagen laufen, sondern an zwei ganz normalen Samstagen (10.9. und 17.9.) Der Verkehr fließt fast überall im gewohnten Ausmaß: Martinistraße und Wall werden nicht für den Durchgangsverkehr gesperrt. Für den Durchgangsverkehr gesperrt werden nur Straßen, in denen ohnehin nur Liefer- und Parkverkehr fließt: zum Beispiel die Knochenhauer- oder die Langenstraße. Die Zufahrten zu sämtlichen Parkhäusern bleiben frei.
Größter Einschnitt ins Verkehrsgeschehen: Rund 500 Stellplätze fallen weg. Einziger Erfolg: AutofahrerInnen werden auf dem kürzesten Weg ins Parkhaus geschleust, der Park-Such-Verkehr fällt weg. Auf einigen Parkplätzen werden stattdessen Fahrradständer aufgestellt, auf anderen soll gefeiert und erlebt werden, zum Beispiel entlang dem Wall oder der Schlachte.
Mit den Grünen wird es solch einen „Versuch“ nicht geben, so Elisabeth Hackstein, Abgeordnete der Grünen, gestern. Sie hat der Bausenatorin die unterste Grenze der grünen Bereitschaft markiert: Soll der Versuch überhaupt zu einer Verkehrsentlastung beitragen und außerdem verwertbare Daten erbringen, müßte er an zwei verkaufsoffenen Samstagen stattfinden. Martinistraße und Wall müßten für den Durchgangsverkehr gesperrt werden. Die Parkhäuser Katharina und Mitte dürften nur vor zehn Uhr morgens und nach Geschäftsschluß angefahren werden. Drunter machens die Grünen nicht. Dann lieber gar kein Versuch.
Besonders empört sind die Grünen übrigens über einen Brief der Handelskammer an das Bauressort: „Die endgültige Entscheidung über den Modellversuch bleibt dem Plenum der Handelskammer vorbehalten“, heißt es darin. Damit führe die Handelskammer den Senat wie einen Tanzbären am Nasenring durch die Stadt, und der ließe sich das auch noch gefallen, schimpft Elisabeth Hackstein. „Der Senat muß endlich Rückgrat zeigen.“ Die nächste Senatssitzung allerdings ist erst nach den Osterferien.
Als Verhängnis sieht die Grüne Hackstein mittlerweile die Formulierung des Vorhabens „Autoarme Innenstadt“ im Koalitionsvertrag. Dort ist nämlich von einer „engen Abstimmung mit dem Einzelhandel“ die Rede. Diese Formulierung lege die SPD mittlerweile so aus, daß sie sich dem diktum der Handelskammer schlichtweg beuge.
So mager das Experimentelle dieses jüngsten Konzepts der Bausenatorin, kosten wird der „Versuch“ trotzdem einiges: 820.000 Mark. Darin sind 140.000 Mark für das Kulturprogramm enthalten wie etwa eine „Kulturmeile“ entlang der Wallparkplätze. Das „externe Projektmanagement“, die Baubehörde sieht sich selbst dazu außerstande, würde mit 80.000 zu Buche schlagen. Fahrradabstellanlagen auf umgewidmeten Parkplätzen kosteten 100.000 – wobei unklar ist, ob sie dort auch nach dem Versuch stehenbleiben. Für Verkehrsregelungen müßten 100.000 Mark ausgegeben werden, für Öffentlichkeitsarbeit 180.000. Und nicht zuletzt wollen auch 30 VerkehrsberaterInnen bezahlt werden, die gegebenenfalls aufgeregte AutofahrerInnen beruhigen könnten: 25.000 Mark. „In Zeiten, wo die Stadtgemeinde kein Geld hat, so einen Versuch zu machen, der überhaupt nichts bringt, aber 820.000 Mark kostet, das ist schon ziemlich dick“, sagte gestern Hucky Heck klipp und klar. cis
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