Heilig schwül

■ Drei Wochen "Erotik und Prüderie" im Kabelkanal

Manchmal braucht's nur einen einzigen Knopf. Wenn es Nacht wird und die Sehnsucht an Denis' glatten Jugendbeinen hochkrabbelt, wühlt der vierzehnjährige Knopfsammler nach seinem Fund vom Gewand seiner Lieblingsnonne Clotilde. Mit Kosungen bedeckt und Gebeten geweiht, wird der Fetisch dem Klosterschüler zum Sinnbild verbotener Freuden.

Doch was Denis nicht ahnt – auch Clotilde wälzt sich verlangend auf der klösterlichen Ruhestätte. Bald helfen auch keine Strafrunden im Kreuzgang, keine beherzten Stockschläge auf die Fingerkuppen mehr. Die Nonnentracht wird zum Negligé, die Betzelle zum Sündenpfuhl: „Lovestory einer Nonne“ (6.4.) – oder von Schlüpfrigkeiten, die dem Kabelkanal heilig sind.

Mit schwülen Bildern will der Münchner Sender werktäglich vor der Prime Time die Mattscheiben zum Beschlagen bringen. Dabei fehlt es ihm nicht an Sendungsbewußtsein, glaubt er doch, mit seiner dreiwöchigen Reihe „Erotik und Prüderie“ dem angeblich sexlosen Zeitgeist eine Lektion in Sachen Sinnlichkeit zu erteilen und nebenbei vom eigenen Image als konzeptlosem wie faulem Abspielkanal abzulenken. All den vermeintlich gefühlsduseligen, aber keuschen Kids, den Workoholics und frigiden Karrieristen, die ihre Libido irgendwo zwischen Filofax und D2-Netz verloren haben, will der Kanal zwischen Schularbeiten und Abendbrot einen Quickie bescheren.

Doch die Personage der filmischen Lore-Romane wirkt so abgelutscht wie die Rezipiententypologie zurechtgelegt: triebhafte Nonnen in „Das Gelübde zerbricht“ (heute), behutsame Ärzte in „Begegnungen“ (23.3.), athletische Abenteurer in „Pandora und der fliegende Holländer“ (24.3.) und „Knotenpunkt Bhowani“(4.4.). Grausame Väter schließlich bei den „Rivalen der Liebe“ (28.3.) und in der „Zeit der Dunkelheit“ (29.3.). Im Auftrag des Senders sollen sie alle über das Minenfeld menschlicher Leidenschaften stolpern. Das „frivole Ungefähr“, das „mitten ins Herz [...] – und noch tiefer“ gehen soll, wie der Pressetext haucht, erschöpft sich jedoch ein ums andere Mal in epileptischem Augengeklimper, halbirren Blicken und einem erschreckend ungesunden Lippenzucken.

Im besten Fall sind die Detailansichten erotische Vorboten. Sie kommen meist aus dem Nichts, sollen einlösen, was Titel und Genre versprechen, und bleiben doch allzu oft nur unmotivierte Anzeichen – Rauchwolken ohne Brandherd. Immer wieder lassen die zumeist namenlosen Regisseure ihre Akteure in unlustigen Szenen verhungern. Da kann Greta Scacchi im x-ten Aufguß der „Dame mit den Kamelien“ (1.4.) noch so an den Korkenzieherlocken zupfen, da wird Nastassja Kinski in „Krank vor Liebe“ (7.4.) noch so nachdrücklich die Unterlippe kneten – solange psychologische Logik von Drehbuch und Regie als Widerspruch zu Sinnlichkeit begriffen wird, boykottiert die vollmundig angekündigte Attraktion des Programms, die Erotik, ihren Auftritt. Und solange sie fehlt, wirkt alles Gebalze um sie allzu berechnend und hysterisch. Zumeist sind es Geschichten, in denen Konflikte unter Männern inszeniert werden, die sich um den Tauschwert der Weibchen balgen. Der Kurs richtet sich mal nach dem Sex-Appeal der Pandora (Ava Gardner!), mal nach dem Görenimage der Friseuse Juliette (Nastassja Kinski!!), die rastlos und nicht ohne parasitäre Interessen von einem Mann zum anderen flattert, um dann endlich bei dem langweiligsten zur Ruhe zu kommen.

Stehen wie in David Leans Klassiker „Begegnungen“ tatsächlich Frauen im Focus, werden ihnen nicht selten ihre Befindlichkeiten nachträglich aus dem Off diktiert. Das Schmachten und Leiden stammt hier aus zweiter Hand, und die Figuren streifen sich das jeweils geborgte Gefühl über wie eine kostbare Bluse, in der sie sich zwar bestaunen, aber nicht wohlfühlen. Ob hirnkranke Shamponeuse oder blutspeiende Kameliendame, körperliche und materielle Lüsternheit paart sich stets (und das mag in der Natur des Genres liegen) mit Morbidität. Und wenn der Klosterschüler seinem Vater trotzig ein „Eure alten Gesetze brechen auseinander“ entgegenschleudert, ist er, wie der selbsternannte Sitten- Eulenspiegel „Kabelkanal“, auf dem Holzweg. Denn den ständig von Sünde und Verderben bedrohten Erotik-Protagonisten geht es nicht darum, die herrschende Moral zu zersetzen. Sie mühen sich nur, diese möglichst wohlgeformt und umständlich zu umgehen. Aber auch um derart alberne Missionen abzuschalten, genügt manchmal ein einziger Knopf. Birgit Glombitza