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Amazonische Frösche im Schlund

Sieben Persönlichkeiten, Stimmen, Arbeitsweisen – Das Projekt ProVokalia bringt sie nach Berlin  ■ Von Anna-Bianca Krause

A-cappella-Gruppen wachsen wie Pilze aus dem Boden, Karaoke-Platten sind Besteller, Laienchöre und GesangslehrerInnen können den singen wollenden Andrang kaum noch auffangen. Keine Frage, Singen ist wieder gefragt, die menschliche Stimme auf dem Vormarsch.

David Moss, US-amerikanischer Percussionist und Stimmbändiger, 1991 anläßlich eines DAAD-Stipendiums nach Berlin gekommen und geblieben, ist sicher einer, der mit seiner humorvollen Geräuschartistik diese Lust am vokalen Ausdruck bei ZuhörerInnen weckt. Der ehemalige Jazzdrummer hat selbst keinerlei Stimmausbildung genossen, am Anfang stand ein physisches Problem: „Ich spielte Schlagzeug und atmete so stark, daß kaum noch Sauerstoff in meinen Lungen war vor Anstrengung. Also überlegte ich mir, wie ich mich am Atmen halten könnte, und ich fing an, nebenbei zu brummen.“

Das war vor 20 Jahren. Seitdem hat sich Moss ein ungewöhnlich breites stimmliches Spektrum erarbeitet, innerhalb dessen sich die verschiedensten Charaktere tummeln. „Ich frage mich immer, was ist das Gegenteil von dem, was ich gerade mache, und dann versuche ich, dahin zu kommen“, erklärt er seine Arbeitsweise, die den Kontrast zum Arbeitsprinzip erhebt und zwar oft wie ein Zufallsprodukt daherkommt, tatsächlich aber ein ausgeklügeltes System an Strukturen, Tempi, Sounds und Wechseln ist.

Kichernde Teenager und knurrige Greise, beleidigte Diven und verstimmte Kleinkinder, russische Chansonsänger und asiatische Händler, aber ebenso defekte Haushaltsgeräte oder amazonische Frösche kriechen, springen, schleichen aus seinem Schlund und machen seine Darbietungen zu einem Erlebnis. Die Kunst lebt, ist angenehm und unterhaltsam, aufreibend und ruhestörend zugleich.

Daß einer, der immerzu aus akustischen Beobachtungen schöpft, den Wunsch hat, mit anderen vokalen Klangerzeugern zusammenzuarbeiten, ist naheliegend. Das Projekt ProVokalia, das jetzt im Rahmen von „X 94 – Junge Kunst und Kultur“ ermöglicht wurde, ist bereits eine sehr alte Idee von Moss. SängerInnen unabhängig von ihren Techniken zusammenzubringen, sie sowohl alleine auftreten zu lassen als auch gemeinsam mit ihnen zu singen, war das Anliegen. „Ich will sie nicht produzieren, verkaufen oder eine Messe daraus machen. Ich will sie zeigen, wie sie sind. Normale Veranstaltungen fördern dieses Divatum. Du zeigst dich, und dann bist du weg. Ich mache das anders, ich bringe die Künstler nicht nur für einen Tag zusammen, sondern mindestens für eine Woche.“

Die neun geladenen VokalistInnen, stilistisch wie geographisch aus den verschiedensten Ecken, werden innerhalb dieser sieben Tage nicht nur auftreten, sondern auch Gesangs-Workshops geben, an deren Ende gemeinsame Konzerte stehen. Einige der Gäste kommen anläßlich von ProVokalia erstmals nach Berlin. Andere, wie die in New York lebende Belgierin Catherine Jauniaux, waren seit vielen Jahren hier nicht mehr zu hören. Die Sängerin, die unter anderem mit Aksaq Maboul, Des Aires, Lowest Note, The Work, Test Department sowie mit ihrer eigenen Band Jonio gearbeitet hat und Auftritte in seltsamen Phantasiekostümen liebt, lotet mit ihrer Stimme die Spanne zwischen Tragik und Komik bis an den Rand aus. Sie wispert und trällert, zwitschert und gluckst, singt, wie vom Winde verweht und imitiert jedwedes Geräusch in ihrer Umgebung.

Rinde Eckert, multimedialer Opernsänger, Tänzer und Schauspieler aus San Francisco, setzt dagegen mehr auf Songs und Melodien. Der annähernd zwei Meter große, kahlköpfige Vokalist bringt seinen Körper als Objekt auf die Bühne und fasziniert als vokales Gesamtkunstwerk.

Nicht immer war die Kontaktaufnahme mit den geladenen Künstlern so einfach wie bei Eckert, den Moss schon seit Jahren auf seiner Wunschliste hat. Um Djeli Moussa Diawara aus Guinea einzuladen, waren zahlreiche Telefonate quer über die Weltkugel nötig. Der Griotsänger und Koraspieler hat eine hochfliegende Tenorstimme und potenziert die Wirkung seines Vortrages durch rhythmisches Saitenspiel.

Des weiteren bei ProVokalia sind dabei: Die traditionellen Gesänge der drei Bisserov Sisters aus Bulgarien, Yildiz Ibrahimova mit ihrer vier Oktaven umfassenden Stimme, die Obertonsängerin Sainkho Namtchylak und natürlich David Moss, der Motor der Geschichte.

Heute abend um 20.30 Uhr: David Moss, Rinde Eckert, Catherine Jauniaux und Djeli Moussa Diawara. Morgen abend um 20.30 Uhr: Sainkho Namtchalak, Yildiz Ibrahimova und die Bisserov Sisters.

Am Sonntag, 27.3. um 17 Uhr gibt es die Einführungsveranstaltung zu den Songshops, die dann vom 28.3. bis 1.4. laufen. Jeder Kurs kostet 70 DM für Leute unter 20, für die anderen 140, wer zwei belegt, zahlt nur 100 bzw. 180 DM. Am 31.3., 1. und 2.4. sind die Abschlußkonzerte. Alles im Podewil, Klosterstraße 68–70 in Mitte.

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