piwik no script img

■ Schönhuber: „Bubis sorgt für Antisemitismus“Ende der Schonzeit!

Nun ist es passiert. Es gibt einen Gedenktag mehr. Zum ersten Mal seit 1938 hat wieder eine Synagoge gebrannt. Und alle sind überrascht, können es gar nicht fassen! Der Außenminister, stellvertretend für alle Schönschwätzer im öffentlichen Dienst, macht sich wieder Sorgen um den Schaden, den das deutsche Ansehen im Ausland erleiden könnte. Gäbe es das Ausland nicht, wäre überall auf der Welt Deutschland, müßte er sich nicht grämen. Eine Berliner Zeitung mutmaßt, es wären „vermutlich rechte Täter“ am Werk gewesen; die Täter könnten aus norddeutschen Feinschmeckerkreisen stammen, die ihre Abneigung gegen „gefillte fish“ und andere jüdische Spezialitäten zum Ausdruck geben wollten. Und „Republikaner“-Chef Schönhuber, der schon deswegen kein Antisemit sein mag, weil er mal mit einer jüdischen Frau verheiratet war, beschuldigt Ignatz Bubis der „Volksverhetzung“ und stellt in klassischer Rollenumkehr fest: „Bubis sorgt für Antisemitismus.“ Womit das bewährte „Selber schuld!“, das den Israelis zur Zeit des Golfkrieges aus grün-alternativen Kreisen entgegenschallte, seine Heimspiel-Variante findet, diesmal von rechts her. Und die Lübecker Bürger, die aufrichtig entsetzt sind, hätten nie gedacht, daß so etwas in ihrer Stadt passieren könnte. Man muß schon froh sein, daß anders als in Rostock und Hoyerswerda die normalen Menschen normal reagieren. Nur geht es diesmal nicht um Vietnamesen, Türken und „Fidschis“, sondern um Juden, und die werden sogar dann noch sonderbehandelt, wenn sie als Opfer erwählt werden, nämlich etwas besser als die anderen. Denn wenn die Deutschen eines aus ihrer Geschichte gelernt haben, dann dies: Juden umbringen gehört sich nicht. Bei den anderen ist man sich nicht ganz sicher. Es ist gerade sechs Wochen her, daß ein Paderborner Landgericht entschieden hat, die Parole „Ausländer raus!“ erfülle nicht den Tatbestand der Volksverhetzung, es sei vielmehr eine „verbale Kurzform für das, was viele Bundesdeutsche meinen“, und daher eine „grundgesetzlich geschützte Meinungsäußerung“.

Es sind nicht die Brandstifter, die in diesem Land das öffentliche Klima bestimmen, sondern noch immer die Biedermänner aller Disziplinen, die zuerst den Geist aus der Flasche lassen, um sich dann über dessen Wüten zu beklagen. Wer für beinah jede Untat die richtige sozialpädagogische Erklärung findet, wer immerzu die Rückkehr zur „Normalität“ fordert, sollte auch wissen, auf wessen Rücken diese Reise vollzogen wird. Der jüdische Historiker, der die Juden immerzu mahnt, nicht mit der „Auschwitz-Keule“ um sich zu schlagen, wie der arische Feuilletonist, der sich schon vor Jahren Gedanken gemacht hat, haben sich so die konkrete Umsetzung ihrer Ideen gewiß nicht vorgestellt. Doch kann Naivität nicht länger als Entschuldigung akzeptiert werden. Wer sich als Schreibtischtäter hervortut, sollte nach getaner Tat seine Hände nicht in Unschuld waschen. Jedes Pogrom fängt mit einem Wort an. Henryk M. Broder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen