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Ein soziales Wohnkunstmuseum

■ Das neue Kupferstichkabinett: Seit gestern vereinigt es auf drei Etagen 600.000 Gouachen, Illustrationen und Drucke / Neubau an künftiger Hauptstadtecke Potsdamer Platz vermag den Torso des Kulturforum ...

Wie lange wohl bleibt noch der Weg hinauf zum neuen Kupferstichkabinett am Kulturforum eine zugige Promenade? Brachen, Parkplätze, Autoverkaufsstellen und verschmierte Skulpturen liegen wie Requisiten städtebaulicher Fehlleistungen zu Füßen des Museums. Den Blick zurück, hinunter von der schrägen Plattform – mediterran sehnsüchtig „Piazetta“ genannt – auf das wüste Umfeld, empfindet Alexander Dückers, Chef des Berliner Kupferstichkabinetts, immer mehr als „unerträglichen Skandal“, den sich kein anderes Museumsviertel auf der Welt leisten würde.

Aber auch die Architektur des neu eröffneten Kupferstichkabinetts mit seinen über 600.000 gesammelten Blättern – Zeichnungen und Gouachen, Drucken und Illustrationen – trägt wenig dazu bei, den Torso Kulturforum zu heilen. Man kommt nicht umhin, den dreigeschossigen Backsteinblock auf der Südseite des Areals zu den provinziellen Stadtbildern der späten sechziger Jahre zu stecken. Neben der Neuen Nationalgalerie und der Philharmonie und bald im Schatten der geplanten Hauptstadtecke am Potsdamer Platz spielen die gestaffelten Kunsthäuser im Sozialbaustil eine erbärmliche Rolle.

Es war keineswegs verwunderlich, daß gestern Alexander Dückers und Wolf-Dieter Dube, Direktor der Staatlichen Museen zu Berlin, die städtebaulichen Mängel des Neubaus noch einmal benannten. Wohl aus „Scheu vor der Monumentalität“ hatte sich der Architekt Rolf Gutbrod 1971 entschlossen, ein Haus zu planen, das „möglichst wenig in Erscheinung treten sollte“. Heraus kam – wie ein erneuter Anschlag auf das Scharounsche Kulturforumskonzept – das Museumswohnhaus: dreigeschossig, piefig, popelig. Obwohl in den achtziger Jahren ein Paradigmenwechsel bei den Museumsbauten stattfand, waren Änderungen trotz der langen Planungsphase an der Außenhaut kaum möglich, wie Alexander Dückers erinnerte.

Auch im Innern hat Gutbrod ganze Arbeit geleistet. Nach dem Eintritt in das große Foyer glaubt man, sich eher in einer Versicherungsanstalt als in einem opulenten Museum zu befinden. Immerhin, die Änderungswünsche haben wenigstens in den Räumen des Kunstkabinetts gegriffen: Ganz unspektakulär verwandelten die Museumsmacher die Planungen der Ausstellungsräume, des Studiensaals und der Seminarräume und paßten sie den neuen Anforderungen der wiedervereinigten Sammlungen sowie einem Ausstellungs- und Forschungsbetrieb an.

Die Glastüren, mit denen das Kupferstichkabinett seine Transparenz signalisiert, gehören zu den neuen benutzerfreundlichen Chiffren. Der Studiensaal erhielt einen Durchblick zu den Seminarräumen. In den Ausstellungsräumen ermöglichen flexible Lichtdecken, auf die Exponate zu reagieren. Der Säulenwald wurde gelichtet und die Erschließung zur Kunstbibliothek und zur Gemäldegalerie verbessert.

Die zusammengeführten Sammlungen, die bis 1945 im Neuen Museum auf der Museumsinsel lagerten und die mit dem Bau der Mauer zerrissen wurden, lassen die Zeichnungen von Botticelli, Grunewald, Lorrain oder Watteau nun wieder konzentriert erleben. Mit ihrer Eröffnungsschau „Vereint im Neuen Haus“ mit Werken von Dürer, Botticellis Illustrationen zu Dantes „Göttlicher Komödie“, Arbeiten von Rembrand, Goya, Menzel und Picasso erlaubt sich das Kupferstichkabinett eine Vorführung von Highlights, die dem Trend zur ereignisheischenden Großausstellung geschuldet ist. Der Bilderkonsum indessen ist die Sache des Kabinetts nicht, versichert Dückers – wichtiger bleibt der konzentrierte Blick auf fragile Linien. Rolf Lautenschläger

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