■ Indro Montanelli zum Wahlsieg Berlusconis und der italienischen Rechten, in der er sich nicht wiedererkennt: Ein hausgemachtes Resultat
In seiner Jugend war der heute 85jährige Herausgeber und Chefredakteur der Tageszeitung la Voce Anhänger der „Republik von Saló“, der von den Deutschen gestützten letzten Zuckung des faschistischen Regimes. Ohne Karrierebruch verstand er es, in die Demokratie hinüberzuwechseln, und wurde danach sowohl wegen seiner Schlagfertigkeit wie auch seiner seither immer wieder bewiesenen ideologischen Standfestigkeit im rechten Lager zu einem der angesehensten konservativen Journalisten Italiens.
Er arbeitete unter anderem für den Corriere della sera und für la Stampa; aus beiden Blättern schied er wegen grundlegender Meinungsverschiedenheiten über die politische Linie aus. 1974 gründete er il Giornale nuovo. Diese Tageszeitung wurde Mitte der achtziger Jahre, nach einer schweren wirtschaftlichen Krise, mehrheitlich vom Medienherrscher Berlusconi aufgekauft; Montanelli erhielt sich dabei jedoch eine relativ autonome Stellung, indem er de facto weiter sowohl als Herausgeber wie als Chefredakteur fungierte.
Als Berlusconi mit seinem Eintritt in die Politik Anfang 1994 von Montanelli eine akzentuierte Förderung seines politischen Projekts „Forza Italia“ verlangte, verließ Montanelli il Giornale und gründete trotz seines hohen Alters zusammen mit einem großen Teil seiner früheren Redaktionskollegen innerhalb weniger Wochen noch einmal ein neues Blatt, la Voce, die seit dem 22. März im Kiosk ist und sich ausschließlich durch Kleinaktionäre finanziert (Motto: „Die Zeitung, die nur einen einzigen Eigentümer hat – den Leser“). Sie kommt bereits jetzt nahe an die frühere Auflage von il Giornale heran und wird möglicherweise das baldige Ableben seiner einstigen Zeitung provozieren.
taz: Sie haben im Vorfeld der Wahlen geschrieben, Sie fühlten sich als Rechter, könnten sich aber in dieser Rechten – die nun siegreich ist – nicht wiedererkennen. Nun titeln Sie in Ihrer Zeitung: „Die Rechte gewinnt – aber es ist vielleicht umsonst“. Warum so viele Vorbehalte gegen die Rechten, gerade im Augenblick des Triumphes?
Indro Montanelli: Ich selbst erkenne mich in dieser Rechten nicht wieder, weil diese Rechte – Berlusconis „Forza Italia“ wie die Neofaschisten der „Demokratischen Allianz“ und die „Ligen“ – so eine Mischung zwischen Volkspartei und populistischem Sammelbecken sein wollen, die jegliche kohärente inhaltliche Aussage verhindert. Das ist allerdings mein persönliches Problem. Die Parteien können sich natürlich definieren, wie sie wollen. Daß der Sieg dieser Rechten, auch wenn man diesen Begriff anerkennt, am Ende umsonst sein könnte, geht meines Erachtens aus dem Ausgang der Wahl wie auch der Natur dieser Rechtsallianz hervor: Da sich die beiden um Berlusconi gescharten Parteien, die „Ligen“ und die Neofaschisten, gegenseitig befehden, zwei der drei alleine aber keine Mehrheit haben, scheint eine Regierung kaum möglich.
Gerade indem sie uns aber schnell eine effektive Regierung gäbe, könnte sich die Rechte als wirkliche Rechte beweisen. Ansonsten wäre all die Mühe, aus der sogenannten „ersten“ in eine „zweite Republik“ zu kommen, umsonst gewesen, es wäre ein Rückschritt und ließe sich dann am besten wieder mit dem altbekannten Wort „Transformismus“ umschreiben, womit gemeint ist, daß alles verändert wird, damit sich am Ende nichts ändert.
Haben Sie dieses Ergebnis erwartet?
Es war vorauszusehen, allerdings nicht in dieser nun vollkommen chaotischen Form. Dieses neue Wahlgesetz muß wirklich jemand erfunden haben, um Konfusion zu streuen. Ich habe im übrigen auch immer geschrieben – ohne mich nun beweihräuchern zu wollen –, daß die Erfinder dieser Gesetzesreform vor Gericht gehören, das müssen Kriminelle sein, oder Verrückte, dann gehören sie ins Irrenhaus. Jedenfalls wenn man als Ziel eines Gesetzes das Wohl des Landes ansieht.
Und so wird dieses Parlament, wie es nun zusammengesetzt ist – aber es wäre wohl auch bei anderer Zusammensetzung nicht viel anders –, kaum auf die Dauer haltbar sein. Wir werden spätestens im Oktober erneut wählen müssen. In der Zwischenzeit muß man dieses Wahlgesetz ändern.
Berlusconi steht als großer Sieger da; Sie haben ihn bei seinem Eintritt in die Politik verlassen. Was würden Sie ihm heute sagen, wenn Sie ihn sprechen könnten?
Ich würde ihm sagen, was ich immer gesagt habe – daß sein Eintritt in die Politik ein Fehler war, für ihn wie für das ganze Land, auch wenn er nun gewonnen hat. Ich habe allerdings nicht damit gerechnet, daß er in diesem Maße Erfolg hat, daß er innerhalb von nur drei Monaten eine derartige Wahlkampfmaschinerie erfinden könnte, die ihn so schnell so hoch hinaus trägt. Nun muß man allerdings sehen, was er aus dem Erfolg macht.
Sehen Sie nach dem Sieg Berlusconis, der ja aus Mailand kommt, Probleme für die dort bisher uneinnehmbar starken „Ligen“?
Natürlich. Die „Ligen“ stecken jetzt in großen Schwierigkeiten, denn denen hat Berlusconi nun das Blut ausgesaugt. Und ich glaube nicht, daß sich ihr Führer, Umberto Bossi, eine Totalausblutung gefallen lassen wird.
Wie wird er reagieren?
Das ist schwer zu sagen. Sie müssen sich ja vergegenwärtigen, daß durch diesen Wahlausgang sozusagen alle auf dem falschen Fuß erwischt wurden – auch die Gewinner selbst.
Sehen Sie Auswirkungen auf das Ausland?
Von der Sache her eigentlich nicht; ob die sicher spürbare Nervosität oder die im Ausland vorgenommene Wertung sich im Laufe der Zeit auf uns auswirken wird, muß man noch sehen. Aber an sich ist dieser Wahlausgang eine unserer typischen italienischen Spezialitäten, die man kaum irgendwohin übertragen kann.
Das, was bei uns hier entstanden ist und sich „Rechte“ nennt, ist weder mit einer europäischen Rechten in Übereinstimmung zu bringen, noch hat es etwas mit den allgemeinen Wählertendenzen in Europa zu tun. Es ist hausgemacht und nur aus den italienischen Verhältnissen heraus zu verstehen.
Interview: Werner Raith
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