: Was kommt noch aus dem Hahn?
■ Clofibrinsäure im Trinkwasser: Ein Stoff, der sich durch alle Siebe schlägt / Die Wasserwerke wollen es genauer wissen und erwägen ein Forschungsprojekt
Eine Routineuntersuchung brachte es in der vergangenen Woche an den Tag: Im Berliner Trinkwasser befinden sich Rückstände des Arzneimittels Clofibrat, das erhöhte Blutfettwerte senkt (die taz berichtete). Die Clofibrinsäure gelangt mit dem Urin oder Stuhl des Patienten in den Wasserkreislauf und wird dort nicht abgebaut. Gemessen wurden bis zu 180 Nanogramm (Milliardstelgramm) pro Liter im Wasser. Um Panikreaktionen zu verhindern, beeilte sich das Bundesgesundheitsamt (BGA) zu versichern, es handele sich um eine äußerst geringe Menge: „Das Trinkwasser ist uneingeschränkt verwendbar.“
Bei den Berliner Wasserwerken werden indes deutlichere Töne angeschlagen: „Solche Stoffe gehören nicht ins Trinkwasser“, so Pressereferent Günter Rudolf. Clofibrat wird von Menschen geschluckt, die zu dick sind, weil sie zuviel essen und sich ungesund ernähren. Manche schlucken täglich bis zu zwei Gramm des Medikaments. Die Reste gelangen in der menschlichen Ausscheidung über das Abwasser zu den Klärwerken. Dort rutschen sie in den Filteranlagen einfach durch, gelangen mit den gereinigten Abwässern ins Oberflächenwasser und sickern über die Uferränder ins Grundwasser. „Es handelt sich offensichtlich um einen Stoff, der sich durch alle Siebe schlägt und in seiner ursprünglichen Form hochverdünnt erhalten bleibt“, erklärt Rudolf.
Entdeckt wurde das Medikament bei einer regelmäßigen Kontrolle des Trinkwassers nach Pflanzenrückständen. Das Ergebnis: Die Untersuchung auf Pestizide, bei der das Verfahren der Massenspectrometrie angewandt wurde, bewegte sich unterhalb des zulässigen Grenzwertes. Das Verfahren zeigt aber auch Verbindungen an, die mit den Pestiziden chemisch verwandt sind. Auf diesem Wege stießen die Wissenschaftler mehr oder weniger zufällig auf die Clofibrinsäure.
Der Pressereferent der Wasserwerke, Rudolf, findet zwar auch wie das BGA, daß die ermittelte Menge von 180 Milliardstelgramm zwar „verdammt wenig“ ist. Er möchte jedoch nicht ausschließen, daß sich noch andere Medikamente im Trinkwasser befinden. „Bis vor kurzem wußten wir davon ja gar nichts.“ Erwogen wird jetzt, ein Forschungsprojekt in Auftrag zu geben, um dem Berliner Trinkwasser auf den Grund zu gehen. Außerdem fordert Rudolf eine veränderte Gesetzgebung bei der Zulassung von Medikamenten. Die Arzneimittel müßten in Zukunft nicht nur auf ihre medizinische Verträglichkeit überprüft werden, sondern auch auf ihre Umweltverträglichkeit. plu
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