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Mit realsozialistischen Methoden

Die erste postkommunistische Regierung Albaniens will die Opposition zum Schweigen bringen: Sozialistenchef Fatos Nano wurde zu zwölf Jahren Haft verurteilt  ■ Aus Tirana Matthias Kalusch

Seit Anfang März ein- bis zweimal pro Woche das gleiche Bild: Polizisten sperren eine zentrale Uferstraße Tiranas weiträumig ab, und in einem in der Sperrzone gelegenen Gebäude wird der Prozeß gegen den früheren Ministerpräsidenten Fatos Nano fortgesetzt. So auch am vergangenen Sonntag, als der Vorsitzende der aus der KP hervorgegangenen Sozialisten, der größten Oppositionspartei Albaniens, wegen Unterschlagung von Staatseigentum und Urkundenfälschung im Zusammenhang mit italienischen Hilfslieferungen an Albanien zu 12 Jahren Haft verurteilt wurde. Der Prozeß gegen Nano war das zweite große Verfahren gegen Vertreter der alten kommunistischen Nomenklatura. Im letzten Jahr wurde die heute 73jährige Witwe des Diktators Enver Hoxha zu 11 Jahren Gefängnis wegen Aneignung von umgerechnet 120.000 Mark Staatsgeldern verurteilt. Der letzte kommunistische Präsident Ramiz Alia wartet seit gut zwei Jahren auf seinen Prozeß.

Fatos Nano ist der einzige ernstzunehmende Kontrahent von Präsident Sali Berisha, in- und ausländische Beobachter gehen daher von einem politisch motivierten Prozeß aus. Denn obwohl die regierende Demokratische Partei Berishas bei den Parlamentswahlen im März 1992 über 60 Prozent der Stimmen gewinnen konnte, wurden schon vier Monate später bei den Kommunalwahlen die Ex- Kommunisten wieder zur stärksten Partei. Nach der Abspaltung der Demokratischen Allianz und angesichts der wachsenden Unzufriedenheit über die wirtschaftliche Situation des Landes – die Arbeitslosigkeit beträgt 38 % – ist die Demokratische Partei dazu übergegangen, ihre Macht mit „realsozialistischen“ Methoden zu sichern.

Die Verhaftung des Oppositionsführers im Juli letzten Jahres, nur vier Tage nach Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität, „verschliß“ zwei Staatsanwälte. Beide verweigerten ihre Unterschrift zur Verfahrenseröffnung und traten zurück. Im dritten Anlauf wurde Nano als „Gefahr für die Gesellschaft“ bezeichnet und inhaftiert. Ähnlich lauten auch die Vorwürfe der Demokraten: „Nano und die anderen SP-Führer sind nichts anderes als eine Gruppe korrupter Ex-Kommunisten, die das Volk soviel als möglich bestehlen würde, wäre sie noch an der Macht“, erklärte DP-Generalsekretär Tritan Shehu.

Bei der Beweisführung gegen den „korrupten“ Nano hatte die Staatsanwaltschaft jedoch beträchtliche Schwierigkeiten. Die vorgeschriebene Frist zur Abfassung der Anklage wurde um das Doppelte überschritten und die schließlich fertiggestellte Anklageschrift vom Gericht der Hauptstadt zunächst zurückgewiesen. Auf seinen ersten Prozeßtag mußte Nano somit weitere sieben Monate warten. Auf die Verstöße gegen das albanische Strafrecht machten auch internationale Organisationen aufmerksam. Der Europarat will den Aufnahmeantrag Tiranas noch einmal überprüfen, und das Europaparlament forderte die sofortige Freilassung des Oppositionsführers bis zur rechtsgültigen Verurteilung.

Repressionen gegen Demokratische Allianz

Nachdem es den Sozialisten gelungen war, nach der Verhaftung Nanos mehrere tausend Menschen auf die Straße zu holen, wurde der Partei keine weitere Kundgebung mehr gestattet. Dennoch kündigte Nanos Stellvertreter Servet Pellumbi Großveranstaltungen an, mit allen legalen Möglichkeiten wolle er den Sozialistenchef aus dem Gefängnis holen.

Mit Repressionen haben auch andere Oppositionsparteien, wie etwa die Demokratische Allianz, zu kämpfen. Bei einer ihrer Veranstaltungen im Januar in der nordalbanischen Stadt Shkodra kam es zu Tumulten, als Anhänger der Demokratischen Partei die Veranstaltung stören wollten. Danach wurde vor dem Gebäude ein Anhänger der Allianz erschossen. Der Täter soll bekannt sein, wurde jedoch bis heute nicht verhaftet. Demonstrationen der Allianz wurden mit großem Polizeiaufgebot verhindert.

An „alte Zeiten“ erinnert auch die Situation der albanischen Medien. Die staatliche Nachrichtenagentur ATA, Radio Tirana und das albanische Fernsehprogramm werden weiterhin unmittelbar vom Parlament und damit von den regierenden Demokraten kontrolliert. Um die drei höchsten Staatsfunktionäre – Präsident Sali Berisha, Ministerpräsident Aleksander Meksi und den Parlamentsvorsitzenden Pjeter Arbenori – wird bereits wieder ein neuer Personenkult aufgebaut. Dem einzig wirklich pluralistischen Bereich, den Zeitungen, rückt jetzt ein im Herbst des vergangenen Jahres verabschiedetes Pressegesetz zu Leibe. So wurde im Januar ein Journalist der Zeitung Zeri i popullit (Stimme des Volkes), dem Blatt der Sozialistischen Partei, wegen „Beleidigung der höchsten Staatsorgane“ zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Der zuständige Redakteur mußte 1.000 Dollar Strafe zahlen. Im Februar wurden dann ein Journalist sowie der Chefredakteur der unabhängigen Zeitung Koha Jone (Unsere Zeit) verhaftet. Sie hatten einen Befehl des Verteidigungsministers veröffentlicht, nach dem es Soldaten verboten ist, Waffen außerhalb der Kasernen zu tragen. Der Journalist wurde zu achtzehn Monaten Gefängnis wegen Verbreitung von Staatsgeheimnissen verurteilt. Der Chefredakteur wurde freigesprochen. Danach wurde der zuständige Richter entlassen und in einer zweiten Instanz der Chefredakteur nachträglich zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Er konnte sich jedoch rechtzeitig ins Ausland absetzen.

Unabhängige Journalisten verhaftet

Die Gerichtsurteile bezogen sich dabei auf das neue Pressegesetz Albaniens, das an vielen Stellen auf das albanische Strafgesetzbuch, das noch aus kommunistischen Zeiten stammt, verweist. Auch das Fehlen einer neuen Verfassung eröffnet hier Möglichkeiten der politischen Willkür. Was ein „Staatsgeheimnis“ ist oder wer als „Gefahr für die Gesellschaft“ gilt, wird nicht genau festgelegt. Obwohl die neue Verfassung für Juni letzten Jahres angekündigt war, hat die Verfassungskommission bis heute keinen Entwurf ins Parlament eingebracht.

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