piwik no script img

Real existierende Multikultur

■ Keine Folklore: Kleine Bühne Hamburg zeigt „Die Sackgasse“

Die Kultur der in Deutschland lebenden sogenannten nichtdeutschen Minderheiten wird oft nur als Folklore wahrgenommen. Diese Sicht ist an sich schon schief: Sie wertet die jeweiligen fremden Kulturen nur als bunte Einsprengsel innerhalb des weiterhin absolut gesetzten Eigenen und übersieht dabei, was gelebter Multikulturalismus, wie er in Deutschland real existiert, tatsächlich bedeutet – das Nebeneinander verschiedener Lebens- und damit auch Kulturformen, von denen keine mehr den Anspruch erheben kann, für das Ganze zu stehen.

Bei der im vergangenen Jahr gegründeten türkischen Theatergruppe „Hamburg Kücük Sahne“ (“Hamburgs kleine Bühne“) greift der Begriff Folklore nun vollends ins Leere. Sie greift mit ihren Aufführungen die real existierenden Probleme der in Deutschland lebenden türkischen Minderheit auf. Zuletzt hat sie dies mit dem Stück Deutschländer Onkel getan. Jetzt hat sie sich einem Thema zugewendet, das angesichts der sich zuspitzenden Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken und der zunehmenden Radikalisierung innerhalb der türkischen politischen Gruppierungen selbst große Brisanz erhalten hat: der Folter. Der Gruppe muß dabei zugute gehalten werden, daß sie mit Die Sackgasse von Tuncer Cücennoglus ein Stück gewählt hat, das nicht in Schwarzweiß-Schemata verfällt.

Zehn Jahre bevor Ariel Dorfman in Der Tod und das Mädchen Folterer und Folteropfer aufeinandertreffen ließ, hat dies der Istanbuler Autor Cücennoglus in seinem Stück, das durch die Gruppe „Kücük Sahne“ in der Regie von Andreas Kallauch erstmals auf deutsch aufgeführt wird, bereits getan. Eine Frau trifft den Polizisten wieder, der sie gewaltsam zu Geständnissen zwingen wollte. Die Schwester der Frau lockt den Folterer in die gemeinsame Wohnung, damit das Opfer sich an dem Täter rächen kann. Mit diesem Plot diskutiert das interessant gebaute, wiewohl etwas hölzern übersetzte Stück die Auswirkungen einer Diktatur auf das menschliche Zusammenleben.

Es wäre unehrlich zu behaupten, daß die Aufführung, die vorgestern im Haus 3 Premiere hatte, professionelles Theater darstellt. Aber darum geht es primär auch nicht. Wichtiger ist es wohl, daß überhaupt ein Forum existiert, auf dem diese aktuelle Thematik diskutiert werden kann. Und diesen Anspruch hat die Gruppe eingelöst. Der Ernst, mit dem sie sich des Themas angenommen hat, steht in keiner Sekunde der Inszenierung außer Frage. Das Amateurhafte der Aufführung spiegelt so nur die schwierigen finanziellen und organisatorischen Produktionsbedingungen wider. Dirk Knipphals

Weitere Aufführungen im April und Mai im Haus 3, Goldbekhaus, Haus für Alle, Universität,

Info: 7903946

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen