■ Standbild: Langsamer Sander-Takt
„Polizeiruf 110: Totes Gleis“, So., 20.15 Uhr, ARD
Selbstverständlich erschießt der Mafia-Killer den Kronzeugen bei Opernmusik. Und natürlich verpatzt die Potsdamer Kommissarin Tanja Voigt die Ergreifung des Täters. Andernfalls könnten die beiden Streckenwärter ja den Koffer mit dem Kopfgeld nicht finden, würde es zu keinem kriminellen Chaos kommen – kurz: gäbe es diesen „Polizeiruf“ nicht.
Man muß der dusseligen Kriminalhauptkommissarin auf Knien danken für ihren professionellen Blackout. Denn was Bernd Böhlich im Auftrag von SFB und ORB in den darauffolgenden 90 Minuten inszenierte, war derart „vom Feinsten“, daß man die Schwächen im Plot (Buch: Leo P. Ard und Michael Illner) völlig vergaß: Tag für Tag gehen Otto Sander und Ben Becker die Reichsbahnstrecke „am Arsch der Welt“ zwischen Potsdam und Halberstadt ab, kehren dann in der Dorfkneipe bei Maria (Monika Hansen) ein und trinken ein kleines Pils auf den Ostblues. Wie sie gehen, wie sie reden, wie sie trinken, tun sie das schon seit mindestens hundert Jahren. Immer Schritt für Schritt an der Einöde entlang. Und wäre da nicht dieser glänzende Koffer, den sie dann eben doch nicht zur Polizei tragen – sie würden noch heute laufen. So aber gibt Bernd Böhlich Vater Sander und Stiefsohn Becker die einmalige Gelegenheit, ihre so höchst unterschiedlichen Schauspieltalente in aller Verbundenheit aneinander zu reiben: Wie eine kommunizierende Röhre bestimmen die beiden den Druck der Erzählung. Mal Schritt für Schritt im langsamen Sander-Takt, dann wieder mit dem jugendlichen Ungestüm des rotschopfigen Becker stapfen die beiden durch die Mark Brandenburg. Unwichtig, was die Kommissarin alles anstellt, um ihre Berufsehre wieder herzustellen. Sie wurde hier sowieso nur als Statistin eingekauft und ist sich dessen Gott sei Dank sogar bewußt.
Der Mut, die wenigen großen Theatertalente, welche dieses Land derzeit bereithält, in einem mit langem Atem inszenierten Fernsehfilm zu bündeln, hat sich gelohnt. Denn wenn sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen nur ein wenig auf seine fast vergessenen theatralischen Erzähl- Qualitäten besinnt, läuft es selbst im Zeitalter seiner privatwirtschaftlichen Reproduzierbarkeit zu wahrer Größe auf. Sollen sie drüben doch auf die schnell verschossenen Bällchen starren. Für die „Toten Gleise“ zahle ich gerne Rundfunkgebühren. klab
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