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Sprachlos dankte der Kaiser ab

■ Die Auslandspfälzer Ciriaco Sforza und Pavel Kuka zünden ein Feuerwerk und stürzen Bayern München beim 4:0-Sieg des 1. FC Kaiserslautern in tiefe Depression

Kaiserslautern (taz) – Der Präsident ging in die Luft, vor dem Spiel. Mit einem DIN-gerechten Bauarbeiterhelm obenauf und in einen blauen Coat des Hauptsponsors gehüllt, schaute sich Lauterns Oberer von ganz oben seine FCK- Welt an, vom Kran. Gemeinsam mit einem Bauführer und einem Präsidiumskollegen schwebte der meist lächelnde Oberteufel in seiner Kanzel über dem irdischen Fußvolk, das er so abgöttisch liebt. Das geschah eine halbe Stunde, bevor der absolut unbestechliche und immer unberechenbare Schiedsrichter Manfred Harder aus Lüneburg ein Spiel anpfiff, das den 1. FC Kaiserslautern in höhere Sphären führen und den FC Bayern München auf den harten Boden der Tatsachen zurückholen sollte.

Kaiser Franz B. I. erschien nachher gar nicht mehr zur Pressekonferenz, weil ihm die Sat.1-Leute schon so auf den Keks gegangen waren. In den siebziger Jahren, als er selbst noch aktiv spielte und bei Kaiserslautern Klaus Toppmöller und der Schwede Roland Sandberg für die Tore sorgten, siegten die Lauterer in München mal mit 5:2, mal mit 4:3. Der Franz, damals noch ohne Adelstitel, soll danach lamentiert haben: „I kann's nimmer sehn, die Pfälzer.“

So muß ihm auch nach dem deprimierenden 0:4 auf dem Betzenberg zumute gewesen sein, der höchsten Niederlage, die er als Coach, sei es mit der Nationalelf, mit Olympique Marseille oder jetzt mit den Bayern, überhaupt jemals kassierte. Die ihn ahnen läßt, daß er womöglich wie Vorgänger Erich Ribbeck auf der Zielgeraden zielsicher scheitern könnte. Wer wie er den UEFA-Cup als „Wettbewerb für Verlierer“ abqualifiziert, erniedrigt sich in Stunden wie denen im Fritz-Walter-Stadion selbst und hat allen Grund unterzutauchen, abzutauchen, die bösartige Journaille zu meiden.

Außer Härte hatte der FC Bayern in Kaiserslautern nicht viel zu bieten. Die Westkurve wußte es bereits nach 21 Minuten und skandierte: „Es kommt die Zeit, da die Bayern untergehn!“ Immerhin eine Torchance mehr als vor zehn Tagen in Gladbach hatten die Bayern: nämlich eine. Labbadia aber, der Ex-Lauterer, wußte noch nicht, daß das Stadion umgebaut worden ist und schob kurz vor dem Pausenpfiff den Ball an Torwart- Rückkehrer Gerry Ehrmann und dem FCK-Gehäuse um Umbaubreite vorbei. Immerhin ließ diese eine plötzliche Offensiv-Eruption den Matthäus Lothar im Halbzeitkommentar skurrilerweise davon reden, das Nullnull entspräche den Spielanteilen. Später, nach dem Betze-Desaster, forderte der vielsprechende Kapitän Juve-Coach Giovanni Trappatoni („italienische Variante“, so dpa) als neuen Trainer und Nachkaiser ab Juli 94.

Als dann FCK-Trainer Friedel Rausch Michael Lusch für Marco Haber einwechselte, das Spiel umstellte und Andreas Brehme mehr nach vorne bat, war es um die elf armen Bayernlein geschehen. Ein umstrittenes Abseitstor der Pfälzer entfachte zunächst unbändige Wut im Stadion, die fortan die Münchener Möchtegern-Brasilianer in Gelb und Grün unter Druck setzten. Ciriaco Sforza und Pavel Kuka agierten, als hätten sie von Kindesbeinen an zusammen geübt. Des Schweizers fulminanten Schuß in der 58. Minute wehrte Raimond Aumann noch bravourös ab, doch Martin Wagners Nachsetzer per hocheingesprungenem Kopfball erwischte er erst hinter der Linie – 1:0.

Als sieben Minuten später Sforza einen Freistoß vor das Bayern-Tor zirkelte, besorgte Kuka per Kopf das 2:0. Franz Beckenbauer verharrte sprach- und mimiklos am Spielfeldrand, unfähig zu reagieren, ahnend, daß dieses Spiel gelaufen war. Was folgte, war die Demontage eines zu früh gekrönten deutschen Meisters. Fünf Minuten vor Schluß revanchierte sich Pavel Kuka bei seinem Freund Ciriaco. Aumann wehrte seine Flanke ab, diesmal hielt der Schweizer seinen Kopf hin – 3:0. Die Krönung folgte in der 89. Minute. Sforza legte ungemein elegant vor, und Kuka vollendete brillant ein wahres Technik-Wunderwerk in helveto-tschechischer Koproduktion zum 4:0.

Noch eine Stunde nach Spielschluß tanzten freudestrahlende Pfälzer Fans wie in Trance auf dem höchsten Berg der Pfalz und mittenmang ihr Präsident Norbert Thines, den auf seinem Weg vom Presseraum ins VIP-Zelt die weiblichen Fans herzten und küßten, wie sie wollten. Auch Erfolgstrainer Friedel Rausch, der mit seinen Rotteufeln nur noch zwei Punkte und ganze zwei Tore hinter den Bayern auf Tabellenplatz 2 liegt, erklärte sich, obwohl ungeküßt, für „happy“ und weigerte sich, das Spiel der Bayern zu kommentieren. „Ich war nicht erschreckt über die Bayern, sondern erfeut über das Spiel meiner Mannschaft, weil ich nur sie angeschaut habe.“

Zu diesem Zeitpunkt saß der kaiserliche Franz Beckenbauer bereits bei den Seinen im Bus. Seine Fußballmajestät hatte auf dem Betzenberg ohne Kommentar einfach abgedankt. Günter Rohrbacher-List

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