Rotwangig bergwiesenhaft

■ NDR Sinfoniker mit Philippe Herreweghe spielten Beethoven und Schubert

Der Belgier Philippe Herreweghe ist einer dieser nicht mehr ganz jungen, aber immer noch ganz frischen neuen Dirigenten, die ihr 19. Jahrhundert von Renaissance und Barock her angehen, und deren Radikalität weit reicht: vom Musizieren auf historischen Instrumenten bis zur Aufführung zeitgenössischer Kompositionen.

Die ließ er in Hamburg zwar wohlweislich im Schrank. Aber als die langsame Einleitung von Beethovens 4. Sinfonie so ungefähr zehn Takte währte, war das Konzept dieses Konzertmorgens klar: Absage an Propaganda jeder Art, Verzicht auf Geraune so gut wie auf Pathos. Stattdessen aufgeräumtes Musizieren, gut geprobt, präzise und durchsichtig, in flotten Tempi, bisweilen großartig, nie großspurig. Anders als sein Lehrer Harnoncourt verzichtet er gänzlich auf Mätzchen, anders als etwa Roger Norrington muß er nicht klanglich zuspitzen, um wuchtig zu wirken. Er ist ein Realo unter den Radikalen der Zunft.

So unprätentiös es begonnen hatte, so ideologiefern ging es mit Schuberts As-Dur Messe weiter. Herreweghe trieb Chor und Orchester zu anschaulich köstlicher Darstellung der verqueren Harmonik dieser Messe (sie versteigt sich bis zu E-Dur). Die Sänger, voran die beiden Damen Juliane Banse und Ingeborg Danz, betonten hochherzig liedhaft die Weltlichkeit der Komposition, die der Amtskirche alles, der Genußsucht nichts schuldig bleibt.

Schubert strich schließlich die üblichen Worte et in unam sanctum catholicam et appostolicam eccesiam aus dem Text aller seiner Messen. Noch die große Gloria-Fuge wirkt, bei aller Monumentalität wie ein Zeugnis hedonistischen Jubels; der Osanna-Teil des Sanctus eher alpenländisch rotwangig bergwiesenhaft. Das Agnus dei schließlich erreicht mozartnah mühelos jenen Seelenzustand, der mit höherem und sonstigem Wesen nichts, mit Himmeln und Herzen alles zu tun hat; Schubert nannte ihn: Die rechte und wahre Andacht. So sei es.

Stefan Siegert