: Gangster in Siesta Key
Immobilienhai Jürgen Schneider auf Karibikinsel gesichtet / Banken sollen die Schneider AG absichtlich in den Konkurs getrieben haben / Günstige Abschreibungsmöglichkeit ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) – „Gangster in Key Largo“ oder „Hafen des Lasters“ (USA 1948) heißt ein Film mit Humphrey Bogart und Eduard G. Robinson. Ein Gangster sitzt wahrscheinlich seit knapp zwei Wochen in einem Haus auf Siesta Key: Dr. Jürgen Schneider mit Gattin Claudia Schneider- Granzow – auf stabilen Koffern von Samsonite mit den Millionen von den abgeräumten Konten der Firmengruppe Schneider AG. Die Welt will ihn mit falschem Haarteil auf der Insel in direkter Nachbarschaft zu Key Largo (Florida Keys) aufgespürt haben.
Inzwischen sind bei der Staatsanwaltschaft in Frankfurt/Main diverse Strafanzeigen auch von renommierten Banken gegen Schneider eingegangen. Kreditbetrug werfen die Vorstände der involvierten Finanzhäuser dem – nach eigener Angabe – kranken Mann vor, dem die Ärzte offenbar eine Luftveränderung verschrieben haben.
Doch die kollektive Empörung der Bankensprecher über die angeblich betrügerischen Krediterschleichungen durch Schneider steht in krassem Widerspruch zu der von den Banken in Sachen Schneider AG praktizierten Vergabepolitik. Die von Schneider vorgelegten Gefälligkeitsgutachten über den Verkaufswert seiner „Objekte“ wurden von den Banken offensichtlich ebenso ungeprüft akzeptiert wie seine Angaben zu Quadratmeter- und Geschoßflächenzahlen seiner Konsumpaläste und Nobelhotels.
Die Schieflage war seit zwei Jahren bekannt
Dabei kursierte im Vorstand der Deutschen Bank schon vor knapp zwei Jahren eine Expertise hauseigener Wirtschaftsprüfer, in der von einer „ungesunden Entwicklung“ bei der Schneider AG gewarnt wurde. Warum gerade der Branchenleader Deutsche Bank dem Immobilienlöwen dennoch weiter knapp eine halbe Millarde Mark in den Rachen geworfen hat, ist (noch) das Geheimnis der Vorstandsmitglieder.
Im Gespräch mit der taz behauptete gestern ein Insider, daß die Banken, allen voran die Deutsche Bank und ihre Tochter Deutsche Centralboden, den Crash der Schneider AG mit ihrer Kreditvergabepraxis „geradezu provoziert“ hätten. Insgesamt hat der „Leitbulle“ (Spiegel) der Branche rund 1,5 Milliarden Mark in die Schneider AG gepumpt – fast immer mit den Objekten der Schneider AG als Faustpfand. Wenn sich am 17. Mai vor den Amtsrichtern in Königstein die Gläubiger treffen, um die Konkursmasse der Schneider AG unter sich aufzuteilen, werden die Banken als Großgläubiger den Löwenanteil absahnen: Lukrative Immobilien in den Herzen der deutschen Metropolen zu Spottpreisen – denn die in den Wind geschriebenen Kredite können als Verluste von den Steuern abgesetzt werden.
Daß sich so die in den harten Zeiten der Rezession peinlich hohen Gewinne der Banken reduzieren – auch ein Steuervorteil – dürfte dann zusätzlich als Imagegewinn zu Buche schlagen. Ist der Zusammenbruch der Schneider AG also ein Coup der Banken?
Dafür spricht auch, daß Mitbewerber von Schneider auf dem Immobilienmarkt immer dann leer ausgingen, wenn der Tycoon aus Königstein mitmischte. „Wo immer ich hinkam, war der Schneider da und hat 50 Prozent mehr geboten“, sagte etwa der Immobilienkaufmann Ignatz Bubis in der vergangenen Woche dem Spiegel. Und es war der Vorstand der Deutschen Bank, der den Abschiedsbrief von Schneider und seiner Frau vom 4. April 1994 bunkerte und erst eine Woche später der mit einem Vorermittungsverfahren gegen Schneider befaßten Staatsanwaltschaft übergab.
Da saß der Gangster, der Hunderte von Bauhandwerksbetrieben um ihren gerechten Lohn prellte, längst auf Siesta Key und trank einen Tequila Sunrise auf das Wohl von Ulrich Weiss, einem Vorstandsmitglied der Deutschen Bank. An Weiss persönlich hatte das Ehepaar Schneider seinen Abschiedsbrief gerichtet und um „Nachlaßverwaltung“ gebeten.
Daß die Banken finanziell aus dem Schneider sind, glaubt auch der hessische Finanzminister Ernst Weltecke (SPD). „Steuerausfälle möglicherweise in Milliardenhöhe aufgrund von Wertberichtigungen“ seien laut Welteke zu erwarten. Und im Konkursfall Schneider müsse die Allgemeinheit mehr als 50 Prozent der Verluste tragen – über Steuerausfälle.
Der Finanzminister sieht deshalb „Prüfungsbedarf“ im Bereich der Banken und Kreditaufsicht, im Bereich des Unternehmensrechts und bestimmter Publizitätspflichten, beim Insolvenzrecht sowie bei den Bilanzierungsvorschriften. Und das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen, dem die Banken jetzt perfiderweise eine Vernachlässigung der Aufsichtspflichten unterstellen, sollte nach Auffassung von Welteke von Berlin nach Frankfurt/Main umziehen – mitten hinein in die Stadt mit ihren knapp 500 in- und ausländischen Banken.
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