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Kinz und Hunz im Frühling Von Claudia Kohlhase

Kann es sein, daß Menschen nicht mit Sommer umgehen können, geschweige denn mit Frühling? Oder sagen wir: mit plötzlicher Wärme? Daß sie sich nicht dabei setzen und Bänke und Plätze belümmeln können? Nein, wie sonst auch steuern sie irgendeinem entfernten Ziel entgegen wie einem persönlichen beziehungsweise allgemeinen Nutzen. Den Blick streng geradeaus gerichtet, weil: Wer weiß, was einem plötzlich alles begegnet?

Also Frühling: Da muß man sich doch schützen und Gedanken auffahren, was so ein Frühling eigentlich ist: also ob den jemand begründen kann und, wenn ja, warum. Darum strafe man entgegenkommende Enthusiasten prophylaktisch mit keinem oder einem düsteren Blick. Speziell wenn es sich um buntere Frauen handelt, manchmal auch um Männer. Bei so was weiß man ja nie, warum sich das so rausgeputzt hat, vermutlich um dafür Zucker zu kriegen. Dabei beleidigt so was doch das Auge und ist unerhört, weil stolz und auffällig. Und liebt nachher das Leben, welches Leben? Ist das Leben nicht gefälligst grau und trist? Schließlich sind wir nicht in Italien, wo Menschen auf offener Straße dösen, so daß der Sinn des Lebens neben ihnen einschläft.

Zur Not kann in Deutschland mal ein Eis gegessen werden, aber besser drinnen, damit einen bloß niemand sieht. Allerdings ist das auch wieder ein Problem, weil: welche Sorte? Es kann ja auf Erden nicht alles Vanille oder Erdbeer gewesen sein. Aber soll man wirklich Pistazie riskieren? Oder gar Heidelbeer? Oder Himbeer? Oder etwa Schokolade? Oder Johannisbeer, wenn's das geben würde, obwohl M. behauptet, daß es das gebe. Und wenn nicht Brombeer, dann vielleicht am Ende Zitrone? Soweit kommt's noch. Oder vielleicht Stracciatella? Aber das hat der Eisfritze ja nur erfunden, um uns zu ärgern. Wobei vom Grundproblem, daß alles schmilzt, noch gar nicht geredet wurde.

Ja, im Winter, da weiß man, was man hat, und braucht nicht raus. Außer vielleicht, wenn man soll. Aber im Frühling muß man, ob man will oder nicht. Sogar Heimtiere verlassen aus unerfindlichen Gründen ihren heimischen Napf und setzen sich mit Straßenfliegen auseinander. Es soll ja tatsächlich Leute geben, die jetzt ins Grüne fahren, als gäb's da was umsonst. Oder als schliefe in ihnen ein Lied, zwei, drei, und müßte aufgeweckt werden.

Aber das sind vermutlich Hinz und Kunz oder Kinz und Hunz, und wer will das schon sein. Dazu kommen noch freilaufende Enten, Kröten und Verliebte, die immer mal wieder überfahren werden, und macht Mon Cherie bald wieder seine Sommerpause; das müßte auch mal jemand überprüfen, wo bei denen eigentlich die Kirschen herkommen.

Kurzum: es ist schrecklich. Dabei hat noch niemand das Wort Polle erwähnt. Mein Gott, die Polle. Oder das gewürzte Wort Grill. Na: gut, daß man Rolläden hat und feste Fenster.

Der Frühling ist, wie man sieht, keine Zeit, sondern ein aufgescheuchter Zustand. Im Prinzip eine Zumutung. Da darf doch wohl die Frage erlaubt sein, ob so jemand eigentlich offiziell nötig ist. Jemand noch dazu, der aufklappbare Umlandbewohner mit ihren Opel-Cabrios in die Mitte der Stadt verbringt. Und alle Vögel hochfliegen läßt, als wär's hier unten nicht tief.

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