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Wohnheim für die Fräuleins

■ Ausgebombt, geflüchtet und als alleinstehende Frau ohne Chance auf eine Wohnung: In den 50er Jahren wurde in Bremen ein Wohnblock nur für Frauen errichtet

„Es gab ja noch nichts“ – mit diesem Satz beschreiben ZeitzeugInnen gern das Bremen der frühen 50er Jahre. Das Wirtschaftswunder ließ auf sich warten, die Menschen lebten in Provisorien. Die meisten waren noch immer irgendwo einquartiert, Fremde mußten auf engstem Raum die intimsten Dinge teilen. 65 Prozent des Wohnraums in Bremen wurden im Krieg zerstört, im Jahr 1952 war erst die Hälfte der zerstörten Häuser wieder aufgebaut.

Die Wohnungsnot traf Frauen besonders hart: Laut herrschender Meinung standen Wohnungen in erster Linie Familien mit Kindern zu. Und: Schwer ist es für die berufstätige Frau, ein Zimmer zu finden. Denn Frauen wollen kochen, plätten, waschen. Der Herr Untermieter aber überläßt diese Arbeiten gern seiner Wirtin, wobei nicht selten ein Nebenverdienst abspringt. So beschrieb es der „Weser Kurier“ am 22.2.1952.

In diesem Jahr 1952 rief der Bremer Frauenausschuß einen Verein ins Leben, der einzig zur „Behebung der Wohnungsnot alleinstehender berufstätiger Frauen“ dienen sollte. Die Idee, Mietshäuser mit Kleinwohnungen nur für Frauen zu errichten, hatte die FDP-Abgeordnete und Bürgerschafts-Vizepräsidentin Elly Ley von einer Reise in die USA mitgebracht. Und so wurde unter der Helene Kaisens Schirmherrschaft der „Verein Bremer Frauenwohnheim“ geboren.

Die Baubehörde hatte mittlerweile eingesehen, daß „Frauen in gleicher Weise Anspruch auf eine eigene Wohnung haben“, erklärte Baurat Tippel vor dem Bremer Frauenausschuß. Immerhin waren 7.000 von 12.000 alleinstehenden Berufstätigen in Bremen Frauen. Und so konnten die Gründerinnen den gemeinnützigen Bremer Bauverein und die dahinter stehende Sparkasse für die Finanzierung eines einzigartigen Bauprojektes in Schwachhausen zu gewinnen: Im Hauptmann-Böse-Weg entstanden vier Wohnblocks mit 54 Einzelappartements, die ausschließlich alleinstehenden berufstätigen Frauen zur Verfügung stehen sollten.

Kaum wurde das Projekt bekannt, gingen die ersten Anträge ein, die sich heute wie Hilferufe lesen: Von Kriegerwitwen, mehrfach Ausgebombten, in Baracken hausenden Frauen. Bin Ostflüchtling und wurde aus dem Bremer Lager vorüber gehent auf das Land gebracht, wo ich bis heute mit meinen sechs Kindern in einer Notstandswohnung lebe. Alle müssen wir in einer Stube schlafen, worin wir unsere Winterkartoffeln haben. Diese Frau wurde abgewiesen – das „Prinzip der Berufstätigkeit soll nicht durchbrochen werden“, schrieb Anna Stiegler zurück; zudem seien die Wohnungen nicht für Familien geeignet.

Vor allem Ausgebombte und Flüchtlinge überwanden die Hürden – im Februar 1954 bezogen 54 Frauen die neuen Häuser. Sie waren in der Mehrzahl ledige Frauen und keine Witwen: In der ersten Bewohnerinnenliste tauchte 38 mal die damals noch übliche Bezeichnung „Fräulein“ auf. Sie alle unterschrieben einen Mietvertrag, in dem die üblichen Kündigungsgründe durch den Punkt „Änderung des Familienstands des Mieters“ ergänzt war – alleinstehend und berufstätig, das war eiserne Regel.

Zwei dieser „Fräuleins“ waren Christel Feskorn (70) und Herta Süss (78), die bis heute dort wohnt – für sie wurde der große Traum, in eigenen vier Wänden die Tür hinter sich zumachen zu können, Wirklichkeit. „Wir waren selig“, sagen heute beide. „Die Zimmer, die einem damals als alleinstehender Frau angeboten wurden, waren wirklich unverschämt“, erzählt Herta Süss, „da mußte man wirklich fragen: Würden Sie Ihre Tochter hier wohnen lassen?“ Die kaufmännische Angestellte kam 1951 aus Dresden nach Bremen, wohnte zur Untermiete. Ebenso wie die Sozialarbeiterin Christel Feskorn: „Ich bin 1945 aus Ostpreußen geflüchtet. In Bremen hatte ich zuerst ein Zimmer bei einer Dame, der es wirtschaftlich gar nicht gut ging und die das Zimmer ziemlich teuer vermietet hatte – vor der Währungsreform konnte man sich das leisten, danach nicht mehr. Und dann habe ich bei einem Kaffeegroßhändler gewohnt – denen kam es auf's Geld nicht an, bloß weil die den Raum abgeben mußten, wollten die Leute haben. Aber 2. Etage, Schräge, ich habe immer überlegt, wo wir uns gewaschen haben... ein Waschbecken habe ich wohl drin gehabt, aber die Toilette war im Keller unten, und ganz gelegentlich eine Küchenbenutzung, weil man da oben nicht kochen konnte.“

Im Hauptmann-Böse-Weg erwartete die Frauen eine komfortable Wohnung: Die Küche war komplett eingerichtet, es gab ein Bad mit Dusche und WC, Einbauschränke und Zentralheizung; im Keller standen den Mieterinnen Waschküchen, Näh- und Plättzimmer zur Verfügung. Die dafür zu erbringende Vorleistung war allerdings nicht ohne und siebte die Bewerberinnen kräftig aus: Vor Einzug mußte ein Baukostenzuschuß an den Verein gezahlt werden, der je nach Größe der Wohnung zwischen 1.200 und 2.500 Mark lag – „das war eine Menge, ich verdiente zu der Zeit 275 Mark brutto“, so Frau Süss. Ihre Firma brachte das Geld für sie auf, bei Frau Feskorn waren es die Eltern: „Das konnten sich Bremerinnen leisten, die ausgebombt waren, aber ihr Geld nicht verloren hatten. Dort wohnten Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen, Jugendleiterinnen, Angestellte im Öffentlichen Dienst – das war absolut die gehobene Schicht.“

Der Tagesablauf in den Häusern war nicht sonderlich spektakulär: Morgens gingen die Frauen zur Arbeit, wer das Pech hatte, kein Kantinenessen zu bekommen, kochte abends noch etwas, manchmal saßen die Frauen abends im großen Garten noch zusammen. Männerbesuche über Nacht waren tabu. „Man war freundlich, höflich, hilfsbereits – aber distanziert“, so beschreibt Christel Feskorn den Umgang untereinander. „Man ließ einen in Frieden leben und arbeiten, wenn man nicht auffiel – das prägte den Stil des Hauses.“ Freundschaften habe es kaum gegeben, das Schlüsselwort hieß vielmehr Rücksicht: „Wir haben ja alle mehr oder weniger das gleiche Schicksal erlebt, und da gab es ein wunderbares Einvernehmen“, so Frau Süss, „das gab's nicht, daß da Kracherei war, wie das heute ist, Türen geschmissen wurden oder daß die Freunde hier schlafen.“ Wer heiratete, mußte ausziehen, „aber das schnallt die junge Generation nicht: die Männer unserer Generation fehlten einfach, da sind soundsoviele aus dem Krieg nicht zurückgekommen, und wir Frauen sind übriggeblieben. Wenn sich was ergeben hätte, hätte man eben geheiratet, aber, och...“

Daß Bekannte manchmal dachten, sie wohne in einem Frauenhaus, das ärgerte Herta Süss ab und zu – „diesen Namen –Frauenwohnheim– habe ich nie gemocht“. Und mit einem „Männerwohnheim“ sei das Ganze nun wirklich nicht zu vergleichen. Eines Tages kursierte ein Artikel über die BewohnerInnen, erinnert sich Frau Feskorn: „Da waren wir tituliert als Drachenburg. Wir antworteten dem mit einem Gedicht: Drachenburg, was muß ich hören / meine Herrn, das klingt wie Neid. / Fleißig wie die Arbeitsbienen tummeln wir uns Tag und Nacht / unsre Brötchen zu verdienen, wie das Schicksal kommen mag / Sind glücklich, daß wir unser eigenes Zuhause haben / nach der Flüchtlingsodyssee, na ja, und zum Schluß so ungefähr: Sie sollten uns lieber mal besuchen kommen und gucken.“

Anfang der 80er Jahre wurde der „Verein Bremer Frauenwohnheim“ aufgelöst. Die Wohnungen werden seitdem vom Bremer Bauverein vermietet – noch immer ausschließlich an Frauen.

Susanne Kaiser

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