: Goražde: „Wir ergeben uns nicht“
■ Bürgermeister Briga will bis zum letzten Mann kämpfen / Nato berät Luftangriffe gegen Serben
Berlin/Sarajevo (AP/taz) – „Trümmer, Blut, Explosionen, Tote und Verletzte auf den Straßen“, so beschrieb Ismet Briga, der Bürgermeister der seit Wochen umkämpften ostbosnischen Stadt Goražde, gestern im Interview mit der taz die Lage in der UN-Schutzzone. Die Versorgung sei katastrophal, zudem hätten rund 66.000 eingeschlossene Menschen nun auch kein Wasser mehr. Auch die Nachrichtenagenturen berichteten von andauernden Kämpfen, die Zahl der getöteten Zivilisten wurde für Donnerstag mit 97 angegeben. Trotzdem schloß der Bürgermeister eine Übergabe Goraždes weiterhin aus. Die Stadt sei zu einem Beispiel für die Verteidiger der anderen umkämpften Gebiete geworden. Die Menschen in Goražde wollten „lieber sterben, als in die Hände der ,Tschetniks‘ zu fallen“, so Briga weiter.
In Brüssel trat derweil der Nato-Rat zusammen, um über weitere militärische Aktionen zum Schutz der bosnischen UN- Schutzzonen zu beraten. Nato-Generalsekretär Manfred Wörner sprach von einer der wichtigsten Beratungen in der Geschichte der Allianz. „Halbherzige Maßnahmen“ reichten nicht mehr aus, so Wörner weiter. Die Nato brauche „einen weiterreichenden Beschluß über den Einsatz der Luftwaffe“. Die USA hatten ihren Verbündeten zuvor vorgeschlagen, den serbischen Angreifern Goraždes ein Ultimatum zu stellen. Die UNO solle die serbischen Truppen auffordern, ihre schwere Artillerie binnen fünf Tagen um mindestens 20 Kilometer zurückzuziehen oder unter UNO-Kontrolle zu stellen. Andernfalls würde die Nato ermächtigt, serbische Stellungen zu bombardieren.
Bereits in der Nacht zu gestern hatte der UNO-Sicherheitsrat einmütig die Angriffe auf Goražde verurteilt und die Einheiten der bosnischen Serben aufgefordert, sich aus der Schutzzone zurückzuziehen. Die Resolution basiert auf einem Abschnitt in der UNO-Charta, nach dem zur Durchsetzung von Sicherheitsratsbeschlüssen die Anwendung von Gewalt möglich ist. Auf seiner New Yorker Sitzung forderte der Rat zudem eine bessere Koordinierung der Friedensbemühungen in Ex-Jugoslawien. Allerdings sind sowohl Luftangriffe als auch eine Aufhebung des Waffenembargos gegen die bosnische Regierung innerhalb der Weltorganisation weiter umstritten. Das russische Außenministerium bezeichnete die Offensive gegen Goražde gestern zwar als „kriminell“ und erklärte, sie gehe „weit über eine militärische Notwendigkeit hinaus“. Zugleich wurde aber die Ansicht bekräftigt, Luftangriffe der Nato würden nur zur Eskalation der Gewalt führen.
Während in New York und Brüssel debattiert wurde, starben in Goražde selbst gestern weitere 22 Menschen, als Granaten in ein Haus einschlugen, das als Notlazarett zur Entlastung des völig überfüllten Krankenhauses diente. Ärzte und Beamte der Stadtverwaltung berichteten über Amateurfunk, die Beschießung der Stadt am Donnerstag sei die bisher schlimmste gewesen. Esad Ohranovic, ein Mitarbeiter im Rathaus, sagte: „Es hat keinen Sinn mehr, die Toten und Verwundeten zu zählen.“ Über die Lage im Krankenhaus sagte dessen Direktor Alija Begović: „Ärzte kriechen durch die Flure, um Patienten zu helfen.“
Die UN-Friedenstruppen mußten gestern nachmittag einen für Goražde bestimmten Hilfskonvoi mit 140 Blauhelmen nach Sarajevo zurückbeordern. Die Fahrzeugkolonne war seit Donnerstag abend in der Ortschaft Rogatica, nur knapp 20 Kilometer vor der umkämpften Enklave, von mehreren hundert serbischen Frauen blockiert worden, erklärte ein Sprecher des UNO-Hauptquartiers in Zagreb. Die Frauen hatten dagegen protestiert, daß die UNO-Soldaten den Verteidigern der Stadt helfen wollten, in der ihre Männer als Kriegsgefangene festgehalten würden. Zuvor hatte die bosnisch-serbische Führung den Blauhelmen freie und unbehinderte Fahrt nach Goražde zugesagt. Seite 8, Interview Seite 10
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