: Wer den Dogmatismus verkennt
■ Fatal: Johanna Schall inszenierte David Mamets „Oleanna“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin
Als Anfangs- und Zwischenmusik singen Ella Fitzgerald und Louis Armstrong von ihrem rein phonetischen Mißverständnis: „I say either (sing: ither) und you say either (sing: aither)...“ Und als dann die Aufführung beginnt, wackelt Ulrike Krumbiegel als Studentin Carol im Takt mit dem Hintern und schiebt sich eng an ihrem telefonierenden Professor (Dieter Mann) vorbei. Kein Wunder, daß ein empörtes Raunen durch die Kammerspiele des Deutschen Theaters geht, als im zweiten Akt herauskommt, daß Carol gegen ihren Professor wegen sexueller Belästigung vorgeht. Er schließlich hatte doch nur ein wenig posiert und ihr später tröstend den Arm um die Schultern gelegt, als sie, an ihrer eigenen Begriffsstutzigkeit leidend, eine mittelschwere Krise in seinem Büro erlitt. David Mamets vieldiskutiertes Drama „Oleanna“ funktioniert in den USA als Polemik gegen die Hexenjagd, die sich dort aus den Codes der political correctness entwickelt hat, unter anderem als Vergewaltigungsversuch nicht nur das anzuprangern, was jahrhundertelang zu männlichen, ja menschlichen Formen des Umgangs mit Schwächeren gehörte, sondern überhaupt jeglichen persönlichen Kontakt diesbezüglich zu interpretieren, wenn es genehm ist. Mamets Carol ist wirklich ein tumbes und nur mühsam artikulationsfähiges Wesen, das sich dann, mit einer ominösen „Gruppe“ im Rücken, zur eingleisig streitbaren Rhetorikerin entwickelt: Erst das Dogma gibt ihr eine Sprache – genau hierin liegt das eigentliche Problem.
Regisseurin Johanna Schall geht ganz kurzsichtig an dieses vielschichtige Problem heran und klebt auf der Ebene, auf der Mamet nur die Exposition angesiedelt hat. Schall macht Carol zu einer Universitätsdackelin, die den freundlichen Professor erst auffordert, sein Hosenbein hochzukrempeln und ihn dann in die Wade beißt. Dadurch bleibt das eigentlich Spannende ungespielt. Denn wo keine eindeutige sexuelle Belästigung stattfindet, kann es darum ja auch nicht erstrangig gehen.
Carols Wut in diesem Dialogstück richtet sich gegen den Zynismus des Professors. Er lehrt, daß höhere Bildung denkbar überflüssig sei und hat dazu eigens eine Theorie entwickelt, die Carol sich zu verstehen abmüht. Daß er dafür allerdings auch noch eine Professur auf Lebenszeit erhält, weiß die „Gruppe“ hinter Carol ja nun erfolgreich zu verhindern. Vertrackt, vertrackt: der Professor gibt sich progressiv, sitzt aber feist auf dem Ast, an dem er ein bißchen herumschnitzt, und Carol ist im Grunde erzreaktionär. Sie kämpft unter dem Banner des Feminismus um ein geistig eindeutiges Leitbild. Nur wenn der Professor eine Reihe von Büchern aus der Bibliothek entfernt (darunter sein eigenes) und sich öffentlich des Sexismus bezichtigt, wird die Klage zurückgezogen. Das ist weit mehr als ein Kommunikationsproblem zwischen Mann und Frau, und wenn ein Generationenkonflikt, dann einer, der sich reziprok zu den bisher bekannten verhält: Die Jugend will geführt werden und revoltiert, weil die Alten der Führung müde sind. Auf der Suche nach dem harmonischen Traumland Oleanna führen herkömmliche Verkehrsmittel darum nur immer weiter in die Irre und schließlich wirklich zur tätlichen Gewalt.
In Berlin, wo man nach Wien, Zürich und Essen mit der deutschen Fassung von Bernd Samland nachklappte, tritt man diesen Weg erst gar nicht an. Schon im Programmheft wird nur danach gefragt, ab wann das Delikt Sexuelle Belästigung vorliegt. Und die Schauspielerin und Regisseurin Schall, Enkelin des großen BB, eiert in ihrer dritten Inszenierung zwischen den Vorderfronten auch noch herum. Sie klagt mit dem Hinternwackeln Carol der Provokation an und plädiert gleichzeitig für Unschuld, indem sie Dieter Mann Ulrike Krumbiegel tatsächlich auch einmal an den Nacken fassen und sich beim Nachhilfeunterricht die Jacke ausziehen läßt. Dennoch sind die Sympathien ganz auf seiner Seite, er ist souverän in seinem legeren Trench, Krumbiegel verkrampft im Jeansanzug und ungeschminkt. Zustimmendes Lachen im Parkett, als er bereits alles verloren hat, auf Carol einschlägt und dann sagt: „Sie vergewaltigen? Sie würde ich nicht mal mit der Kneifzange anfassen.“ Fatal. Da hilft es auch nichts, daß Philipp Stölzls linoleumbeschichtetes Büroloch, das mit einer Ecke in die Zuschauerreihen hineinragt, für jeden Akt um 90 Grad gedreht wird. Ein Perspektivenwechsel wird müßig, wenn die Tiefenschärfe fehlt. Petra Kohse
David Mamet: „Oleanna“. Regie: Johanna Schall, Bühne: Philipp Stölzl, mit Ulrike Krumbiegel und Dieter Mann. Wieder am 27. und 28.4., 19.30 Uhr, Deutsches Theater, Berlin.
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