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Hamburgs Schulen auf der Straße

■ 60.000 Schüler, Lehrer, Eltern und Studenten trotzen Raab und Hajen / Eierwürfe an der Bannmeile / SPD durfte nicht reden Von Kaija Kutter

Die U-Bahnhöfe waren überfüllt, in der Hamburger City ging gestern nichts mehr. Punkt 12 Uhr 30 bewegte sich die Spitze des Demonstrationszuges von der überfüllten Moorweide in Richtung Gänsemarkt. Die Kundgebung am Gerhart-Hauptmann-Platz war bereits beendet, als das Ende des Protestzuges die City erreichete. „Wir gehen von über 60.000 Teilnehmern aus und von 300 bis 400 beteilgten Schulen“, resümierte GEW-Chef Peter de Lorent. Die Polzeipressestelle sprach von 30.000 Demonstranten.

Während die vom langen Marsch ermüdeten Schüler und Lehrer zu den Bahnhöfen zurücckehrten, harrte eine Gruppe von 300 Jugendlichen an der Bannmeile vorm Rathaus aus. „Die Verantwortlichen sitzen da drin“, riefen junge Vermummte und warfen vereinzelt Eier auf die mit Helmen und Schlagstöcken bewaffneten Polizisten, aber auch auf Kameramänner und Fotoreporter. Gegen 15 Uhr fuhr die Ordnungsmacht sogar Wasserwerfer auf und kesselte die Schülergruppe ein. Zur gewaltsamen Räumung der Kreuzung kam es nicht; vereinzelt machten Greiftrupps mit Schlagstöcken Jagd auf vermeintliche Eierwerfer, neun Jugendliche wurden festgenommen.

Der Rathausmarkt war für die größte Bildungsdemo seit langem nicht freigegeben worden. Allerdings wurde auch der SPD das Ansinnen verwehrt, auf der Kundgebung zu sprechen. „Vielleicht hat sie ja ein Angebot. Vielleicht wollen sie 1000 Lehrer einstellen“, spottete GEW-Sprecherin Anna Ammonn unter lautstarkem Beifall. Entgegen anderslautender Beschwichtigungen hatte Oberschulrat Harald Düwel am Montag öffentlich gesagt, die Behörde sehe eine Sparleistung von 900 bis 950 Lehrerstellen bis 1997 als unvermeidlich an. Auch Schulbehördensprecher Ulrich Vieluf bestätigte, daß eine Arbeitszeitverlängerung für Lehrer und der Einsatz von Referendaren im Gespräch seien. „Und wann unterrichten wir uns selber“, konterten Schüler auf einem der zahlreichen Transparente.

Der Einsatz von Referendaren überfordere Schüler und Nachwuchslehrer gleichermaßen, sagte die Schülerkammervertreterin Franziska Padge auf der Abschlußkundgebung. Und forderte, die Schüler bei wichtigen Entscheidungen, wie der kürzlich verfügten Abiturverschiebung, ernstzunehmen. „Jeder Schüler hat sich über die Sparmaßnahmen eine eigene Meinung gebildet. Wir begreifen langsam, was da auf uns zukommt“, sagte auch Kammermitglied Annick Wibben. Von einem kürzlich angesetzten Gespräch mit Schulsenatorin Rosemarie Raab sei sie sehr enttäuscht gewesen. „Wir sollten sagen, welche Maßnahmen wir am schlimmsten finden. Wir lehnen aber alle Kürzungen ab.“

An der Demonstration beteiligten sich trotz der Androhung von Gehaltskürzungen rund 5000 Lehrer, darunter auch zahlreiche Schulleiter. Gefragt, was sie am meisten störe, nannten die meisten die vorgestern bekanntgegebene Kürzung der Schulraumflächen um durchschnittlich zwölf Prozent.

Mit 5000 Teilnehmern etwas unterrepräsentiert waren gestern die Studierenden, die auf der vorab abgehaltenen Uni-Vollversammlung einen Streik für die kommende Woche beschlossen. Immerhin bekam dort mit Leo Hajen auch ein zweiter SPD-Politiker sein Fett weg. Verfolge man Hajens Äußerungen in der Presse, so Asta-Referent Olaf Böhm, müsse man glauben, es sei dessen Bestreben, als Senator für Wissenschaftsabbau in die Geschichte einzugehen. Hajens Sparankündigungen hätten den Wegfall von 10.000 Studienplätzen bis 1997 zur Folge.

Siehe auch Seiten 1 und 4

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