Durchs Dröhnland: Des Kopfes ganzer Körpereinsatz
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der nächsten Woche
Eine ganze Weile lang genügte der Name einiger herausgebender Labels, um eine Band schon ungehört heiligzusprechen. Zwar haben die Zeiten sich geändert, die Industrie hat wieder mal schwer aufgeholt, aber für Dischord gilt dies immer noch. Jawbox sind inzwischen zwar auch beim Major gelandet, passen auch nicht so recht in das Punkrockswing-Raster von Dischord, aber ihre Vergangenheit beim Washingtoner Fugazi-Label garantiert ihnen immerhin noch einen p.c.-Nimbus, der durch nichts aufzuwiegen ist. Das Quartett entstand 1989 aus Punkrock-Legenden (die dort scheinbar von den Bäumen fallen) wie Government Issue, doch mittlerweile hat sich Mastermind Jay Robbins einem nahezu klassischen Songwriting verschrieben, das nur durch die zwar allzu üblichen, nichtsdestotrotz aber immer wieder schönen Lärmausbrüche gebrochen wird. Ein interessanter Satz von Robbins soll hier nicht unzitiert bleiben: „I feel like I didn't have a band, I'd definitely go insane.“ Bei Kurt Cobain scheint die Sache genau andersrum gelaufen zu sein, aber Robbins braucht nicht zu befürchten, in solche Erfolgszwangsjacken zu geraten – solange er diese fies schabende Musik mit Jawbox macht.
Am 29.4. um 21 Uhr im Ex, Gneisenaustraße 2a, Kreuzberg
Klingt nach kopflastigem Körpereinsatz, wenn Caspar Brötzmann und Müllwerker FM Einheit von den Neubauten eine Zusammenarbeit starten. Da treffen dann derselbe Ansatz mit reichlich unterschiedlichen Werkzeugen aufeinander.
Ob nun bei Einheit oder beim Gitarristen Brötzmann, der langsam, aber sicher seinen avantgardejazzenden Vater Peter im Bekanntheitsgrad überholt hat, ist die Selbstentäußerung des Künstlers so gewaltig, daß man sich schon wieder prima dahinter verstecken kann.
Am 29.4. um 22 Uhr im Tacheles, Oranienburger Straße 53-56, Mitte
Hierzulande ist das p.c.-Unbedenklichkeitssiegel nur durch harte Arbeit zu erwirtschaften. Fluchtweg leisten die unbenommen. Die Vier aus Berlin reißen in ihren Texten alle einschlägigen Themen ab, auch wenn sie dabei bisweilen etwas kryptisch bleiben. Ansonsten verwundern sie mit allerlei Nippes wie Saxophon, Akkordeon, Balalaika oder Mundharmonika in ihrem Hochgeschwindigkeitsfolk. Ganz besonders nett wird es dann, wenn der Sänger krächzt wie Rio Reiser.
Am 30.4. im BKA-Zelt zwischen Neuer Nationalgalerie und Philharmonie
Eigentlich ja kein Wunder, daß ausgerechnet aus Wien, der Hauptstadt des Morbiden, eine der besten Death-Metal-Bands Europas kommt. Pungent Stench heißen sie und bevorzugen die eher langsame bluesbetonte Abart des Genres. Das Kotzbrockige des Sängers ist ähnlich aufgesetzt wie bei allen anderen, aber die Gitarren sind wirklich sahnemäßig satt und so schwarzdüster wie ihr Cover. Nichts für schwache Nerven oder Menschen, die einen guten Witz nicht erkennen, wenn sie ihn sehen.
Mit Macabre, Brutal Truth und Sickness am 30.4. um 21 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108–114, Kreuzberg
Russenabend, der nur beweist, daß es auch in Moskau kreuzbergähnliche Übungskeller und Biervorräte geben muß. Zwar lernten sich Pogo auf der Musikhochschule in Moskau kennen, aber ganz offensichtlich hatten sie da schon andere Vorlieben. Ihr Punkrock kokettiert mit allerlei Metal-Einschüben, ohne sich allerdings vollends entscheiden zu wollen. Mit dabei noch Civvi Moss aus St. Petersburg.
Am 30.4. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Str.157, Schöneberg
Nach all dem Dröhn: Entspannung – und hier mache ich mir wahrscheinlich schon Feinde. Denn Keith Secola ist mehr als kontemplative, meist nur hingetupfte, wie unsicher nach dem letztgültigen Ton suchende Musik. Secola ist Native American, arbeitet als Filmemacher, dokumentiert mit Musik wie Video die Kultur seines und anderer indianischer Völker und ist Mitbegründer des Labels „Akina“, das all dies überhaupt erst zu Gehör bringt.
In diesem Frühling kommt Secola in kleiner, stimmungsvoller Besetzung. Im Sommer soll eine weitere Tournee mit ungleich größerer Mannschaft, Trommlern und Tänzern folgen.
Am 1.5. um 21 Uhr im Huxley's Junior
Eigentlich tauchen im US- amerikanischen Underground die Bands immer aus den tiefsten Tiefen der Provinz auf. Nur nicht Cell, die aus New York und New Jersey kommen.
Trotzdem hören sie sich an, als kämen sie aus irgendeinem Sechseinhalbseelenkaff in der Mitte von Nirgendwo, so schleifen ihre Gitarren, drehen große, mächtige Kreise, schrauben sich immer höher, gleiten dann doch für eine Weile entspannt dahin, um dann wieder an Höhe zu gewinnen, immer rundherum und rundherum, schließlich einfach abstürzen, um den Aufstieg auf ein neues zu beginnen. Logisch, das machen viele. Aber Cell haben das, was man nicht beschreiben kann – was einen wie ein Kokon umschließt, in Watte packt. Groß wie ein Haus steht Cell mitten im Weg und sagt: „Hi, ich bin klasse!“ Sie machen einfach wunderbare Musik. Und wer den Klang einer elektrischen Gitarre nur etwas mag, wird sie lieben müssen.
Am 1.5. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
Klein und verschroben, mickrige Perlchen zum Übersehen, es quietscht vor Freude wie manches Kinderspielzeug, wenn man aus Versehen drauftritt. Die Bones aus dem Rheinland haben einiges von der Spritzigkeit der NDW, ein wenig von Hamburger Poptheorie und vor allem ganz viel Naivität, wie sonst hierzulande vielleicht nur noch Throw That Beat In The Garbagecan. Junge Menschen lassen nichts aus, tun keinem weh dabei, freuen sich an Farfisa-Orgeln und Schabegeräuschen, an glockenhellen Popmelodien und vitaminreichem, absolut drogenfreiem Spaß bis zur Besinnungslosigkeit. Noch einmal so jung sein.
Am 5.5. um 21 Uhr im Duncker, Dunckerstraße 64, Prenzlauer Berg Thomas Winkler
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