Möbel machen Moneten

■ Ausflugsziele eignen sich jetzt auch zum Einkaufsbummel

Die Weddinger Pankstraße wird beherrscht von einem freundlich augenzwinkernden Möbelpacker, der von einer gigantischen Leuchtreklame auf die eher trübsinnige Umgebung herunterlächelt. In seinem Rücken steht ein städtebauliches Desaster ersten Ranges: das Möbelhaus Höffner, von den Einheimischen liebevoll „Höffi“ genannt. Schon bald nach dem Fall der Mauer avancierte der Hort der Schrankwände und Einbauküchen zum beliebten Ausflugsziel. Nicht nur an den Wochenenden kamen die Reisebusse bis aus Dresden herangefahren, und aus dem nahen Osten der wiedervereinigten Metropole pilgerten die Schaulustigen in hellen Scharen mit der U-Bahn herbei.

Die Schaulust hat sich mittlerweile in Kaufkraft verwandelt. Die erste Neuanschaffung – den Pkw – haben die meisten inzwischen getätigt, und so tat der freundliche Möbelpacker das einzig Richtige: Er kam den neugewonnenen KundInnen entgegen und verlegte seine Zentrale nach Waltersdorf an die erste Autobahnabfahrt hinter der Berliner Stadtgrenze. Hier gibt es zwar keine U-Bahn, aber jede Menge Parkplätze. In nur sechs Monaten, von März bis September 1993, wurden 50.000 Quadratmeter Büro- und Verkaufsfläche hochgezogen. Daneben steht, von der Autobahn kilometerweit sichtbar, ein Hochregallager, dessen Fläche nicht einmal Klaus Kühnemann, Chef des Hauses in Waltersdorf, genau beziffern kann. „Es ist“, soviel weiß er immerhin, „eines der größten in Deutschland.“ Das Weddinger Stammhaus wird von hier gleich mitbeliefert, weil „die Verkehrssituation in der Innenstadt eine kontinuierliche Anlieferung unmöglich macht“.

Damit nicht genug: Auch in Chemnitz und Leipzig hat Kurt Krieger, Alleininhaber der Höffner GmbH, schon neue Standorte für sein Möbel-Imperium gefunden. Schnelligkeit entscheidet den Kampf um Marktanteile.

Das weiß inzwischen auch Renate Pillat, Bürgermeisterin von Waltersdorf. 1990 begann auf Initiative von Krieger das Planungsverfahren für das „Gewerbegebiet Waltersdorf“. Jetzt, dreieinhalb Jahre später, ist allein die fast 1.000köpfige Höffner-Belegschaft den rund 800 EinwohnerInnen zahlenmäßig klar überlegen. Dazu kommen die MitarbeiterInnen von einem knappen Dutzend weiterer Firmen, darunter Ikea, Teppich- Kibek, Möbeltick, der Spielzeugdiscounter „Toys 'R‘ Us“ und demnächst – ein Bauschild kündigt es an – ein McDonald's-Restaurant.

Bei einem derartigen Andrang kann so manche Detailfrage natürlich erst im nachhinein geklärt werden. „Man muß auch Kompromisse schließen“, meint die Bürgermeisterin, „sonst geht der Investor ein Dorf weiter.“ Und dort würde er mit offenen Armen empfangen, das weiß Renate Pillat von ihren AmtskollegInnen aus den Nachbargemeinden. Die nämlich „können sich nicht einmal ein neues Verkehrsschild leisten“, während bei ihr schon die Pläne für eine Kita an der Wand hängen.

Verständlich also, wenn die Bürgermeisterin „kein Problem“ mit der umwälzenden Entwicklung in ihrem kleinen Dorf hat. Dies um so mehr, als man auch höherenorts in Gelassenheit macht, wenn nach den vielbeschworenen Gefahren eines „Speckgürtels“ von Gewerbeansiedlungen im Umland der Hauptstadt gefragt wird. „Es ist uns zwar nicht ganz gleichgültig, aber für den Arbeitsmarkt ist es letztlich egal, ob jemand nach Birkenwerder oder Frohnau fährt“, so Holger Hübner, Sprecher des Berliner Wirtschaftssenators.

Um den Berliner Einzelhandel macht sich der Senatssprecher angesichts der mächtigen Konkurrenz auf der grünen Wiese nur mäßig Sorgen. Ein Kaufkraft-Magnet wie Waltersdorf bedroht „wohl eher den Einzelhandel in Königs Wusterhausen, die Karl-Marx-Straße in Neukölln ist davon nicht betroffen“.

Ob die Berliner Einzelhändler das genauso sehen, darf bezweifelt werden. Das zwischen dem Senat und der Landesregierung in Potsdam vereinbarte Moratorium – keine Genehmigung für weitere Einkaufsparks im Berliner Einzugsbereich – bietet jedenfalls weder den HändlerInnen in Königs Wusterhausen noch in der Karl- Marx-Straße den erhofften Schutz, weil es über das Stadium einer politischen Willenserklärung noch nicht hinausgekommen ist. Rechtliche Verbindlichkeit läßt sich nur schwer herstellen, denn viele Gemeinden haben ihre Gewerbeflächen längst ausgewiesen. Und so komme es trotz länderübergreifender Arbeitsgruppen oftmals noch „zu vereinzelten Entscheidungen, die nicht mit uns abgestimmt waren“, lautet die zurückhaltende Umschreibung der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz.

Über solch knifflige Fragen der Regionalplanung machen sich die Investoren, so Höffner-Manager Kühnemann, verständlicherweise wenig Gedanken: „Uns ist es egal, woher der Kunde kommt.“ Jochen Siemer