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Kaum Grenzgänger bei den Berliner Bündnisgrünen

■ Der Berliner Landesverband Bündnis 90/ Die Grünen wächst nicht zusammen

Die einen wurden in K-Gruppen und besetzten Häusern groß, die anderen engagierten sich im Schutz der Kirche für Menschenrechte und Demokratie. Die einen organisierten sich in der Alternativen Liste (AL), die anderen waren „Bürgerbewegung“. Seit einem dreiviertel Jahr sind Bündnis 90/ Die Grünen zu einem Landesverband fusioniert, haben Ämter und Bundestagsliste paritätisch besetzt. Doch beide ehemaligen Organisationen leiden an ihren zu großen Unterschieden. Die Ex- ALer werfen ihrem Partner vor, ihre Forderungen, etwa nach der Abschaffung aller Geheimdienste aus den Augen verloren zu haben. Die anderen wiederum beschuldigen die Gegenseite, „die Mauer weiter im Kopf zu haben“.

„Ich will mich streiten“, sagt Renate Künast, innenpolitische Sprecherin der Fraktion. Doch seit der Vereinigung habe sich die Tendenz verstärkt, alles unter den Teppich zu kehren. Die ehemaligen Bündnis-90-Mitglieder hätten inzwischen vergessen, daß sie vom Staat gefordert hatten, Bürgerbewegungen – ähnlich wie Parteien – finanziell zu unterstützen. Sie hätten auch die Abschaffung der Geheimdienste gewollt, doch heute ließen sie sich in der Stasidebatte von Kohl und der FAZ als „Kronzeugen“ funktionalisieren Doch über dieses Problem werde nicht diskutiert.

Wie tief die über 2.000 ALer und die gut 300 Bündnis-Leute den Graben zwischeneinander ausgehoben haben, zeigte sich zuletzt am vergangenen Wochenende. Eine Mitgliedervollversammlung sollte die Kandidaten für die Bundestagswahl wählen. Doch kurz vorher versuchten ALer das paritätische Wahlverfahren zu kippen, das immerhin eine wesentliche Bedingung für die Vereinigung gewesen war. Hintergrund des Angriffs auf die Substanz: Der einzige Männer- Platz unter den ersten drei aussichtsreichen Listenplätzen war faktisch dem Bündnis vorbehalten. Und das hatte den Bundestagsabgeordneten Gerd Poppe aufgestellt, der in der Vergangenheit ein militärisches Eingreifen in Bosnien gefordert hatte. Poppes Wiederwahl wäre beinah gescheitert — drei Stimmen gaben den Ausschlag. „Wir sind haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschrammt“, kommentierte Fraktionschef Wolfgang Wieland das Ergebnis erleichtert.

Das wäre nicht die erste Katastrophe gewesen. Vier Tage vor der Vereinigung zur Bundespartei im Mai vergangenen Jahres versuchten vier Bündnis-Abgeordnete einen wochenlang schwelenden Streit über die Berliner Olympiabewerbung auf die Spitze zu teiben. Sie ließen ihr Amt demonstrativ ruhen. Die vier Dissidenten wollten, daß sich die Partei von einer Anti-Olympia-Demo distanziert, zu der sie aufgerufen hatte und auf der es zu Gewalttätigkeiten gekommen war. Damals war bereits klar, daß die Konfliktlinie nicht einfach zwischen Ost und West, sondern zwischen grundsätzlichen Auffassungen verläuft.

Kritiker hat die AL jedenfalls in ihren eigenen Reihen, und die empfinden die Vereinigung mit dem Osten als eine Bereicherung. Der Westgrüne Jürgen Karwelat gründete mit gemäßigten Parteifreunden und Bündnis-90-Mitgliedern die AG Menschenrechte. Teile der AL hätten bis heute „die Wende nicht verkraftet“, meint er, El Salvador sei für manche noch immer näher als Osteuropa. Die „militanten Pazifisten“ der AL würden mit der Ablehnung eines militärischen Eingreifens im ehemaligen Jugoslawien „den Untergang der Schwachen“ bewußt in Kauf nehmen. Das Zusammenwachsen in Berlin funktioniert schlecht, zwischen Ost und West gebe es nur wenige Grenzgänger.

Thomas Kreutzer, als Bündnis-90-Mann Vertreter der Minderheit, kritisiert die mangelnde Unterstützung von den Profis. Bezirksgruppen würden „hängengelassen“, Einladungen nach Pankow würden mit der Frage quittiert: „Wo ist das?“ Für ALer hat er nicht viel übrig. Ihre Ideologie sei „furchtbar“. Die unterschiedlichen Bedürfnisse seien durch die Erfahrungen geprägt: Im Osten waren viele in der „Kirche von unten“ engagiert und wollten die „Schöpfung verteidigen“.

Die Abgeordnete Judith Demba will keine „Ost-West- Front“ feststellen und sortiert eher nach politischer Sozialisation. Die von ihr mitbegründeten Ostgrünen hätten einen „weltlichen Ansatz“ gehabt und wollten sich „aktiv in die Politik einmischen“. Sie fühlt sich bei den Wessis wohl und hat Schwierigkeiten mit der Minderheit aus der eigenen Stadthälfte. Fragen würden diskutiert, die sie längst für beantwortet gehalten hatte: „Wollen wir die Gesellschaft grundsätzlich hinterfragen?“ Renate Künast kennt wohl die Antwort und fragt lieber: „Wollt Ihr noch in dem Verein sein?“

Immerhin, zum Verzicht auf die Macht wird es nicht kommen. Nach der Satzung steht dem Bündnis bei den Abgeordnetenhauswahlen im kommenden Jahr jeder dritte Platz zu. Dirk Wildt

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