: Gibt es eine Kultur der Arbeitslosigkeit?
■ Johannes Moser arbeitet als Dozent am Institut für Kulturanthropolgie in Frankfurt
taz: Es gibt in Kalifornien einen Autoaufkleber: „Arbeit ist was für Leute, die nicht surfen können.“ In Ihrer Studie „Jeder, der will, kann arbeiten“ betonen Sie die große Bedeutung der Arbeit für die Menschen. Warum?
Johannes Moser: Ich glaube, daß die Mehrheit der Bevölkerung Arbeit als etwas so Wichtiges betrachtet, daß Freizeit nur als Ausgleich zur Arbeit genossen wird.
Als Ausgleich zu einer bestimmten Art von Arbeit?
Nur insofern, als die Erwerbsarbeit, wie wir sie kennen, historisch gewachsen ist und von der Mehrheit der Bevölkerung als Normalfall angenommen wird.
Nun gibt es aber nicht für alle einen Arbeitsplatz. Was machen die, die leer ausgehen?
Es gibt zwei Möglichkeiten. Zum einen könnte ein größerer gesellschaftlicher Wandel um sich greifen, damit die Erwerbsarbeit als nicht mehr so bedeutsam angesehen wird. Die andere Variante wäre die, die Arbeit gerechter zu verteilen, wenn wir glauben, daß sie notwendig ist.
Wie könnte das geschehen?
Man muß insgesamt mehr Phantasie entwickeln. Es gibt ein paar Ansätze, über die schon länger diskutiert wird. Zum Beispiel den Vorschlag, statt der menschlichen Arbeit verstärkt den Umsatz und die Produktivität der Betriebe zu besteuern. Dann würde weniger auf Lohnnebenkosten abgewälzt, und die Arbeitsplätze würden billiger. Über diesen Umweg könnten mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Wo Arbeitsplätze nicht zu schaffen sind, weil Maschinen aus Sicht der Unternehmer effektiver eingesetzt werden können als der Mensch, muß die Gesellschaft für die soziale und finanzielle Absicherung der Betroffenen sorgen.
Gibt es schon Anzeichen für einen Wandel hin zu einem anderen Verständnis von Arbeit?
Solche Anzeichen sehe ich nicht. Die Politik läßt den Wert der Erwerbsarbeit völlig unangetastet. Und daher wird sich auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung, die in den bestehenden Strukturen aufwächst, nichts ändern.
Warum können die Arbeitslosen den Wandel nicht selbst vorantreiben?
Weil sie sich selbst nicht als Arbeitslose fühlen. Der Status der Arbeitslosigkeit ist für sie kein Dauerzustand, mit dem sie sich identifizieren könnten, sondern er ist für sie ein Übergangsstatus. Selbst bei Arbeitslosen, die sieben oder acht Jahre arbeitslos waren, habe ich festgestellt, daß jeder glaubt, er werde wieder Arbeit finden. Charakteristisch dafür ist die Antwort von zwei Langzeitarbeitslosen auf die Frage, ob sie sich zur Gruppe der Arbeitslosen gehörig fühlen. Einer meinte: „Nein, nein. Ich meine, das könnte ich überhaupt nicht sagen.“ Der andere verstand unter Arbeitslosen eine Gruppe mit spezifischen Merkmalen und sagte: „Nein, das nicht. Sicher bin ich arbeitslos, aber daß ich zu denen gehöre ...“ Arbeitslosigkeit ist mit einem Stigma behaftet, deswegen muß die eigene Situation umgedeutet werden.
Eine aktive Bewältigung der Situation ist Ihrer Ansicht nach also nicht möglich?
So würde ich das nicht sagen. Die Leute entwickeln in den verschiedensten Bereichen Aktivität. Von Schwarzarbeit bis zum Ausleben des Hobbys. Was aber nicht da ist, ist eine gemeinsame Aktivität mit anderen Arbeitslosen, um eine Lobby zu bilden und die eigenen Interessen zu vertreten.
Warum?
Arbeitslosigkeit wird ausschließlich negativ wahrgenommen. Und nur auf negativen Erfahrungen eine neue Identität aufzubauen, das ist sehr schwierig. Arbeitslose definieren sich vielleicht über ihren Freundeskreis oder ihre Familie, aber nicht über ihr Dasein als Arbeitslose.
Wie kann es sein, daß jemand, der seit sieben Jahren arbeitslos ist, am Klischee festhält: Jeder, der will, kann arbeiten?
Diese Menschen teilen die allgemeingültigen gesellschaftlichen Vorstellungen, den Common sense, und ordnen alles in dieses Muster ein. Dadurch wird die Welt eindeutig. Komplexe soziale Phänomene werden durch eine Verallgemeinerung verstehbar. Common sense ist das Ergebnis von Schlüssen, die der Verstand aus gewissen Vorannahmen ableitet. Interessant dabei ist, daß dieser Common sense bezüglich Arbeit und Arbeitslosigkeit auch von Politikern, Unternehmern und Wirtschaftswissenschaftlern geteilt wird und daß sie ihr Verhalten danach ausrichten. Spezialfälle werden dabei eben rausgenommen als Sonderfall.
Zur Zeit sind rund zehn Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung ohne Arbeit. Selbstverschuldet kann diese Arbeitslosigkeit nicht sein.
Auf diese Idee kommen auch viele Leute. Die sagen dann: Es sind zu viele Ausländer da, die nehmen uns die Arbeitsplätze weg. Andererseits gibt's da einen Bundeskanzler, der vom kollektiven Freizeitpark spricht, was ja unterstellt, daß die Leute gar nicht wollen, obwohl sie könnten; da gibt es Unternehmer, die pausenlos davon sprechen, daß die Leute eigentlich nicht arbeiten wollen.
Wie steht es um die Verantwortung der Gewerkschaften?
Ich möchte die Gewerkschaften nicht verteidigen, aber sind Gewerkschaften wirklich dazu da, gesamtgesellschaftliche Konzepte zu entwickeln? Wir verlangen das ja auch nicht von den Unternehmern. Es sind natürlich auch andere Institutionen gefordert, Hochschulen zum Beispiel oder politische Parteien, die sich der häufigen Wahlen wegen nie an wirkliche Neuerungen heranwagen. Fragen: Frank Seibel
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