: Eine Bioethik für ganz Europa
Der Europarat legt Richtlinien für Bioethik vor / Die Grenzen des Machbaren werden weiter verschoben / KritikerInnen befürchten einen Freibrief für Medizin und Forschung ■ Klaus-Peter Görlitzer
Das Institut für Wissenschaft und Ethik lädt übermorgen in die Bonner Universität, vorgestellt wird auf einem internationalen Symposium der Entwurf einer Bioethik-Konvention des Europarats. Sie soll, so Institutsdirektor Professor Ludger Honnefelder, die „Europäische Menschenrechtskonvention fortschreiben“, das Essener Gen-Archiv dagegen warnt spitzfindig, mit dem geplanten Vertragswerk würden „die Menschenrechte im buchstäblichen Sinne fort geschrieben“.
Der europäische Standard, der gemäß Bioethik-Konvention festgeschrieben werden soll, kennt kaum noch Grenzen: Weitgehend gerechtfertigt wird, was technisch machbar ist. Einschränkungen wie sie einige bundesdeutsche Regelungen noch vorsehen, werden durch die bioethische „Harmonisierung“ unter Anpassungsdruck geraten. das gilt auch für Vorhaben zu Gesetzen, die medizintechnische Eingriffe wie Erbguttests oder Organtransplantationen künftig regeln sollen.
Forschungsexperimente an entwicklungsfähigen Embryonen, in der Bundesrepublik gesetzlich verboten, sollen gemäß Bioethik- Konvention künftig erlaubt sein – und zwar bis zum vierzehnten Tag nach der künstlichen Befruchtung im Reagenzglas. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hatte dies bereits 1985 in einer Richtlinie gefordert, erntete damit aber selbst in den eigenen Standesreihen heftige Kritik.
Die Anwendung von Gentests zwecks Voraussage von angeblich oder tatsächlich genetisch bedingten Krankheiten soll nach Meinung der BioethikerInnen ebenfalls den Wertvorstellungen der EuropäerInnen entsprechen. Falls, wie es im Konventionstext nebulös heiß, „übergeordnete Interessen“ vorliegen, dürfen die Testergebnisse auch an Stellen außerhalb des Gesundheitswesens weitergegeben werden. Welche Stellen gemeint sind, womöglich Behörden, ArbeitgeberInnen oder Versicherungen, läßt der Text offen.
Doch sind solche Freibriefe der BioethikerInnen wohl geeignet, der Bundesregierung den Rücken zu stärken, die in ihrer derzeit zur Verabschiedung anstehenden „Arbeitsschutzrahmenrichtlinie“ erstmals Genomanalysen von Beschäftigten vorsieht. Gewerkschaften und DatenschützerInnen lehnen dies ab, um die Gefahr einer „sozialen Selektion zwischen angeblich erbstarken und angeblich erbschwachen ArbeitnehmerInnen auszuschließen. Schon der Artikel über die Zulassung von Gentests zeige, so die grüne Europaabgeordnete Hiltrud Breyer, daß die mögliche „Nutzung dieser Technik zu eugenischen Zwecken nicht als reale Gefahr erkannt wird“. Doch die Sorglosigkeit der BioethikerInnen geht noch weiter: Artikel 8 der geplanten Konvention erlaubt – zu „Forschungszwecken im Gesundheitsbereich“ und „in Ausnahmefällen“ –, Eingriffe an behinderten Menschen auch dann vorzunehmen, wenn damit kein therapeutischer Nutzen verbunden ist. Voraussetzung ist, daß ein „übergeordnetes Interesse“ vorliegen und das Risiko für die/den Betroffene/n „minimal“ sein soll. „Der Forschung an Behinderten werden Hintertüren geöffnet, die an den Ungeist von Einstufung behinderter Menschen als „minderwertige erinnern“, fürchtet Hiltrud Breyer. Und Therese Neuer-Miebach von der Bundesvereinigung Lebenshilfe für geistig Behinderte findet den Artikel 8 schlicht „völlig unmöglich“.
Immerhin: Es gibt auch eine einschränkende Regelung im Konventionsentwurf. Die Anwendung der Gentherapie in der Keimbahn, also die unmittelbare Manipulation der Erbinformation eines Menschen, die an seine Nachkommen weitergegeben werden, ist ausdrücklich untersagt – zumindest vorerst. Denn das Verbot, das auch im deutschen Embryonenschutzgesetz steht, gilt als Kompromiß. „In einigen Jahren“, heißt es im Einführungstext zur Bioethik-Konvention, soll das Verbot der Keimbahntherapie „im Lichte der wissenschaftlichen Entwicklung“ noch mal überdacht werden. Als willkommene Entscheidungshilfe zum Bruch dieses Vorzeigetabus dürften dann auch die Ergebnisse der Studie „Ethische Probleme von Keimbahnmanipulationen“ dienen, die das Bonner Institut für Wissenschaft und Ethik durchführt. Die Untersuchung soll „ergeben, welche Eingriffe in die Keimbahn gerechtfertigt zu akzeptieren und welche abzulehnen sind“ – eine Alternative, von der sich deutsche WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen öffentlich noch distanzieren. Noch.
Der Text der Bioethik-Konvention wurde in aller Stille entworfen. Verantwortlich zeichnet der sogenannte „Lenkungsausschuß für Bioethik“, den der Europarat vor zwei Jahren in Straßburg einberufen hatte. Geht es nach den acht UrheberInnen, darunter Stefan Winter aus dem Bundesgesundheitsministerium, soll der Vertrag noch in diesem Jahr in Kraft treten. Voraussetzung ist, daß mindestens drei Staaten die Europäische Bioethik-Konvention ratifizieren – eine peinlich niedrige Hürde angesichts der Tatsache, daß dem Europarat gegenwärtig 32 Staaten angehören. Eine vorhergehende Debatte etwa im Bundestag oder Europaparlament ist nicht vorgesehen – und schon gar nicht die umfassende Information, Willensbildung und Beteiligung der Menschen, die mit der neuen Ethik für die neuen Techniken beglückt werden sollen.
Auch nicht gerade pluralistisch angelegt ist das Bonner Symposium, das so gern einen Konsens der europäischen Wertüberzeugungen erreichen möchte. KritikerInnen der Bioethik können dort ihre Positionen jedenfalls nicht ausführlich darstellen. Das Angebot, in einer einstündigen Podiumsdiskussion mit zehn weiteren DiskutantInnen kurze Statements auszutauschen zu dürfen, lehnte die grüne Europaabgeordnete Breyer ab – Begründung: Sie wolle „nicht als demokratisches Feigenblatt einer von Forschungsinteressen völlig dominierten Veranstaltung herhalten“. Auf dem Podium dabeisein wird dagegen Therese Neuer-Miebach von der Lebenshilfe – allerdings, wie sie sagt, „mit massivsten Bauchschmerzen“. Denn auch ihr schwant, „daß meine Teilnahme eine reine Legitimationsfunktion für die Veranstalter hat“. Die verhalten sich in der Tat so, als wollten sie die Skepsis fördern: Wenige Tage vor dem Symposium hatten sie Neuer-Miebach noch immer nicht den Entwurf der Bioethik-Konvention geschickt, der am Mittwoch zur einstündigen Diskussion steht.
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