Lautlose Abschiebungen in großem Stil

Seit dem Wochenende werden KroatInnen bürokratisch sauber in ihre Heimat zurückgeschoben / Finanzielle Hilfen sind nicht vorgesehen / Für Deserteure gibt es keine Amnestie  ■ Von Vera Gaserow

Berlin (taz) – Gespenstisch lautlos ist Anfang dieser Woche die größte Abschiebewelle in der Geschichte der Bundesrepublik in Bewegung gesetzt worden. Zeitlich gestaffelt nach Alter und Familienstand werden in den nächsten Monaten rund 80.000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus Kroatien in ihre Heimat zurückgeschickt. Eine Abschiebung auf bürokratisch- sauberem Weg: für alle kroatischen Flüchtlinge ist am 30. April die ausländerrechtliche Duldung abgelaufen. Als erste Gruppe werden nun alleinstehende Erwachsene und kinderlose Paare kein Aufenthaltsrecht mehr erhalten. Sie müssen ihren Paß bei der Ausländerbehörde abgeben und gegen einen Ausreiseschein eintauschen. Mit diesem Schein sollen sie dann innerhalb von wenigen Tagen über einen vorgeschriebenen Grenzübergang ausreisen. Meldet der dortige Grenzschutz nicht sofortigen „Vollzug“, können Polizei und Justiz die zwangsweise Abschiebung vornehmen.

Die Innenministerien der Länder verbreiten unterdessen Harmonie: die meisten kroatischen Flüchtlinge würden freiwillig in ihre Heimat zurückkehren. In Bayern und Baden-Württemberg, wo die meisten Kroaten Zuflucht gesucht haben, setzt man darauf, daß eine ausländerrechtliche Drohung Wirkung zeigt: reisen die Betroffenen nicht „freiwillig“ aus, müssen sie die Kosten ihrer Zwangsabschiebung selbst zahlen und dürfen in den nächsten fünf Jahren nicht mehr in die BRD einreisen.

Während die Behörden darauf verweisen, daß schon in den vergangenen Monaten mehrere tausend kroatische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgekehrt seien, berichten Beratungsstellen von „panischen Reaktionen“ unter den Betroffen. Viele Flüchtlinge haben in Deutschland eine Wohnung und Arbeit, die sie nun innerhalb von wenigen Tagen aufgeben sollen. In Kroatien hingegen stehen sie vor dem Nichts. Ihre Häuser sind vom Krieg zerstört oder inzwischen von anderen Flüchtlingen belegt.

Im Büro des UN-Flüchtlingskommissars in Bonn fragen derzeit Ratsuchende an, wer ihnen denn bei der Ankunft in Kroatien helfen würde. Doch der UNHCR kann nur die Achseln zucken. Weder die Bonner noch die Zagreber Regierung, die am 25. April feierlich ein „Rückübernahmeabkommen“ unterzeichneten, haben die UNO- Flüchtlingsorganisation in die Ausweisungsaktion einbezogen. Finanzielle und humanitäre Hilfen für die Rückkehrer sind von keiner Seite vorgesehen. Ein Teil der Betroffenen, so die Erfahrung von Beratungsstellen, überlegt deshalb, in ein anderes europäisches Land weiterzuwandern oder illegal in Deutschland weiterzuleben.

Besonders problematisch ist die Situation nach wie vor für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure. Denn eine Amnestie, wie sie Innenminister Kanther der kroatischen Regierung abgerungen haben will, gibt es nicht. 1992 hat Kroatien zwar ein Amnestiegesetz verabschiedet, doch das verspricht nur Straffreiheit für Straftaten im Zuge von Kriegshandlungen. Dazu zählt die Flucht vor dem Militärdienst nicht. In einer schriftlichen Erklärung hat Außenminister Granic der deutschen Regierung wohlweislich nur zugesichert, daß Deserteure, die aus der BRD zurückkehren nicht schlechter behandelt werden als Verweigerer im eigenen Land. Und denen droht nach wie vor eine willkürliche Verfolgung durch Militärgerichte mit mehrmonatigen Haftstrafen.

Noch in einem anderen wichtigen Punkt hat die Bundesregierung die Rücknahmevereinbarung mit Kroatien geschönt: die Abschiebung von Flüchtlingen aus besetzten oder vom Krieg zerstörten Gebieten sei bis 1995 ausgesetzt, erklärte Kanther nach der Vertragsunterzeichnung. In Artikel 5 des Rücknahmevertrages heißt es jedoch, Deutschland könne die Abschiebung dieser Flüchtlinge zeitlich vorziehen, wenn Kroatien seinerseits Kriegsflüchtlinge aus Bosnien dorthin zurückschickt und damit Platz für die eigenen Rückkehrer schafft. Dieser Vertreibungsprozeß scheint schon zu beginnen. Eine Delegation der Hamburger GAL-Fraktion beobachtete, daß Bosniern in einem kroatischen Flüchtlingslager der Flüchtlingsstatus entzogen wurde. Argument der kroatischen Behörde: sie stammten aus befriedeten Regionen Bosniens und hätten deshalb keinen Anspruch mehr auf Unterbringung in Kroatien.