: Eine fast versehentliche Erotik
■ Sasha Waltz, Kitt Johnson, Adria Ferrali und ein Kessel Buntes – Variationen zum Thema „Solo“ im Tacheles
Was haben ein Jongleur, ein Zitherspieler, drei Filme und drei Tänzerinnen gemeinsam? Nicht viel mehr, als daß sie unter dem gemeinsamen Titel „Solo“ im Tacheles zu sehen sind. Als Tanzabend proklamiert, beginnt die Veranstaltung mit „Bon Voyage“, einem computeranimierten Film von Stefan Kerda. Die Hauptfigur, eine virtuelle Frauengestalt, scheint die weibliche Version des begehrten Film-Oscars zu sein, gleicht sie ihm doch, als wäre sie aus seiner Rippe geschnitten (wenn er eine hätte).
Ihre Reise durch Raum und Zeit, unterlegt von rhythmischen Klängen, führt durch endlose Tunnel und bringt periodische Verwandlungen in Kugel- und Ellipsenformen mit sich. Leider war der Abspann wegen mangelnder Schärfe nicht lesbar. Aber über diese Art von Kunstfehlern sehen Tacheles-Kenner spielend hinweg, desgleichen über das verpatzte Solo des feuerschluckenden Jongleurs, der beim akrobatischen Spiel mit demselben so oft seine Fackeln fallen ließ, daß man glauben konnte, es gehöre zur Choreographie.
Dann, endlich, tritt die dänische Tänzerin Kitt Johnson auf. Ihr Beitrag „Yellow Fever“, den sie zusammen mit dem Instrumentalisten Sture Eriscon erarbeitete, setzt sich zwar nicht im Geringsten mit dem Thema „Solo“ auseinander, doch beeindruckt sie mit ihrem schon mehrfach aufgeführten Erfolgsstück aus einer eigenwillig- explosiven Mischung aus Butoh und New Dance. Mit dem wackelnden Kopf einer japanischen Alten oder verschmutzten Knien und kindhaft-ungelenken Bewegungen verkörpert sie fließend verschiedene Charaktere innerhalb eines Tanzes. Ihr Dialog mit Ericson ist nur elementar strukturiert, der Freiraum für Improvisationen läßt die beiden spannungs- und überraschungsreich miteinander agieren. Aber mit fast 50 Minuten ist dieser konzentrationsfordernde Auftritt neben den sieben anderen jedoch etwas zu lang.
Erfrischend wirkt das Zitherspiel von Oruc Gürbüz im Anschluß, der beim Publikum sehr viel Anklang fand. Auch die zweite Tänzerin, Adria Ferrali aus Florenz, die als einzige den Titel zum konkreten Thema ihrer Choreographie verarbeitet hat, sowie ihr Begleiter, der Cellist Sebastian Hilken, der aus seinem Instrument ein ganzes Orchester hervorzaubert, sind überaus sehens- und hörenswert. Als ehemals erste Tänzerin der Graham-Company in New York ist ihr Stil einschlägig geprägt. Fast zu ästhetisch, wenn auch eindrucksvoll beschreibt sie ihre „Reise durch die unergründliche menschliche Seele“. Bei ihr scheint die Form den Inhalt zu dominieren, bei Kitt Johnson und ganz besonders bei Sasha Waltz, der letzten im Bunde, ist das Gegenteil der Fall.
Die Berliner Künstlerin gewinnt dem „Solo“ die spielerische Seite ab. Wie schon bei „Travelogue-twenty to eight“ von 1993 setzt sie sich mit Alltags-Räumen wie der Küche und Requisiten wie Bett, Tisch und Stuhl auseinander. Die Elemente als „Counterpart ihres Innenlebens“ verarbeitete sie diesmal unter dem Motto: „Sasha treibt Unfug oder Paulinchen allein zuhaus“. In nur fünf Tagen improvisierte sie zusammen mit dem Klavierspieler Jochen Sandig diese leichtfüßige und kurzweilige Geschichte. In tragikomischer Stummfilmmanier mit Slapstick- Elementen beschreibt Waltz den Tagesablauf mitsamt Weckerklingeln und gierigem Kellogsfrühstück bis zum Abend. Ihr frischer, selbstironischer Humor und eine fast versehentliche Erotik geben ihr ein einmaliges tänzerisches Profil: Es ist das Solo einer verspielten, trotzig-stampfenden, o- beinig-komischen, unfügsamen Frau. Für diese Vorstellung lohnt es sich, einige unkoordinierte Pausen zu überbrücken, die die Veranstaltung in die Länge ziehen und die bruchstückhafte Zusammensetzung der einzelnen Beiträge verdeutlichte. Tacheles-Gänger werden ohnehin die Rosinen im Kuchen „solo“ genießen, und die, die es werden wollen, sollten es versuchen. Patricia Caspari
Bis 8.5., 20.30 Uhr, Tacheles, Oranienburger Straße 54–56, Mitte.
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