piwik no script img

Du Allesbefruchter!!

■ So zwitschern jetzt die Jungen: Lehrreiches über den zeitgenössischen Schimpfwortschatz der Bremer Kinder

Die Journalistin Helga Lampe hat jede Menge Jungen und Mädchen in Bremen danach befragt, wie sie sich gegenseitig beschimpfen und wie man gegebenenfalls gewinnen kann. Die taz wollte das natürlich auch alles wissen.

Was sind denn grad so die schärfsten Wörter?

Zuerst kriegt man immer die Klassiker, wenn man fragt, also das unsterbliche „Arschloch“ und öfters auch schon den „Ficker“. Aber solche Wörter haben natürlich den Nachteil, daß sie nicht mehr viel bedeuten. Wer nur „Arschgeige“ oder „Wichser“ sagt, löst nicht mehr viel aus. Es müssen also immer wieder neue Wörter her, und merkwürdigerweise sind das in allen Stadtteilen die gleichen. Der „Steckdosenbefruchter“ zum Beispiel, der ist wirklich überall zu finden.

Steckdosenbefruchter? Um Gottes willen!

Ja, alles was sich irgendwie mit „Befruchter“ kombinieren läßt, ist zur Zeit sehr gefragt. Das reicht vom „homosexuellen Bambusbefruchter“ bis hin zum „Flugzeugbefruchter“, und über allem steht in seiner Wirkung unangefochten der „Allesbefruchter“.

Großartig. Wer kann sowas erfinden?

Die Kinder sagen, daß sie sich vom Fernsehen anregen lassen, aber auch vom Kajenmarkt, wo sie ja eine regelrechte Schimpfkunst erleben können. Ich denke aber, daß die wirklich neuen Sachen dadurch entstehen, daß diese elementaren Schimpfwörter, wie es der „Befruchter“ vielleicht einmal war, in ihrer Wirkung doch ziemlich schnell nachlassen. Da bleibt den Kindern offenbar nichts anderes übrig, als sich immer wieder neue Kombinationen einfallen zu lassen.

Welche denn noch?

Zum Beispiel „Geh nach Ghana Schlitten fahren!“ Das verwenden die älteren Kinder, die diese sexuellen Wörter nicht mehr so mögen, weil sie schon wissen, was sie bedeuten. Da kommen dann eher Begriffe im Zusammenhang mit Ausländern, und dieser hier ist noch einer von den harmlosen. Er kann aber auch zugespitzt werden. Das heißt dann „Geh nach Ghana Schnecken ficken!“ oder so ähnlich. Das Grundmuster ist jederzeit variierbar, das gilt für alle Schimpfwörter, und es muß möglichst viel herauskommen, was man eigentlich nicht sagen darf. Da können im Eifer des Wortgefechts schon auch mal recht lange Bandwürmer entstehen, beispielweise der „Toilettentieftauchsteckdosenbefruchtarschkakerlakemitscheißpobeleuchtun g“.

Ist die Länge der Beschimpfung ein Maß für die Eskalation?

Bedingt, würde ich sagen. Es jedenfalls ein Zeichen dafür, daß die Kinder nicht mehr weiterwissen. Dann versuchen sie, an ihre Wörter immer mehr dranzuhängen, immer noch eins drauf. Manche sagen aber, das sei nicht so günstig, weil einem der andere da schon längst ins Wort gefallen ist. Am allerbesten ist natürlich, was kurz ist und sitzt.

Sind dafür Regeln denkbar?

Kaum. Höchstens eine: Jüngere Kinder empfinden alles als Verletzung, was die Eltern beleidigt, also „Hurensohn“ und solche Sachen. Auch die ganz drastischen Sachen wie der „Tuntenbefruchter“ und der „Granatenwichser“ haben ihre Wirkung. Aber sonst kann man wenig sagen, außer daß es gut klingen sollte. In meiner Kinderfunk-Sendung zu diesem Thema hatte ich meinen Gästen unter anderem „Schnatzbratzke“ vorgeschlagen, das fanden sie ziemlich gut. Ich glaube, weil es sich gut aussprechen oder besser gesagt ausspucken läßt. Das ist auf alle Fälle ein Kriterium, aber keine Erfolgsgarantie.

Ein Schimpfwort funktioniert ja auch nur, wenn es alle als solches akzeptieren.

Ja, und das kann man schwer voraussehen. Umgekehrt ist es jederzeit möglich, daß die Kinder untereinander ganz beliebige Wörter als Schimpfwörter verwenden. Ein Lehrer erzählte mir, seine Klasse habe sich darauf geeinigt, das Wort „Du gelber Briefkasten“ sei ab sofort eine schlimme Beleidigung, und auch das klappte. Und als er zuhause mal seinen eigenen Kindern verbot, das Wort „Ficker“ zu verwenden, weil es das Sexuelle herabwürdige, da wunderte er sich, daß sie sich plötzlich mit „Kaffee! Kaffee! Kaffee!“ angifteten. Die Lösung war: Sie hatten verabredet, daß „Kaffee“ nun „Ficker“ bedeutet.

Das ist schon hohe Sprachmagie.

Ja, wirklich. Grad diese Duelle, zu denen es oft kommt: die haben schon was von Kunst. In diesem Hin und Her gewinnen ja die mit den besten Einfällen. Mädchen scheinen da übrigens pfiffiger zu sein. In meiner Sendung behauptete eine, daß die Jungens ja sowieso nur so oft am Raufen sind, weil ihnen die Wörter so schnell ausgehen. Prompt kam's zum Streit im Studio, die Jungens protestierten, und was geschah? Die Mädels warfen ihnen jede Menge Schimpfwörter an den Kopf, und die saßen nur noch und schluckten.

Fragen: Manfred Dworschak

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen