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Seismographie des Fallenstellers

■ In Ausstattungen von Karl-Ernst Herrmann: Gleich zwei Inszenierungen kommen vom Wiener Akademietheater

Mit George Taboris „Requiem für einen Spion“ und Isaak Babels „Sonnenuntergang“ werden zum diesjährigen Berliner Theatertreffen zwei Produktionen des Wiener Burgtheaters eingeladen, die beide nicht im Haupthaus gespielt werden, sondern in der Dependance, dem kleineren und intimeren Akademietheater. Hier befindet man sich gewissermaßen auf neutralem Boden, ohne durch die Hypothek einer historischen Architektur belastet zu sein, hier ist viel leichter ein Kammerspielton zu treffen als im Burgtheater. So ist es auch kein Zufall, daß zwei der größten Erfolge der letzten Jahre – Zadeks „Ivanov“- und Taboris „Othello“- Inszenierung – im Akademietheater stattfanden.

Die schmale Bühne, auf der keine gigantische Bühnenmaschinerie wie in der Burg zur Verfügung steht, verlangt einfache Bühnenbildlösungen. Karl-Ernst Herrmann versteht es, den reduzierten Möglichkeiten der Akademietheater-Bühne kongeniale Raumschöpfungen abzugewinnen. Für Taboris Inszenierung seines eigenen Stückes „Requiem für einen Spion“ baute Herrmann eine schwarze Tiefgarage, die bei allem liebevollen Realismus im Detail ein magischer Ort ist, der für Taboris Spiel von Wahrheit und Lüge, Treue und Verrat wohl zu Recht den Anspruch erhebt, nicht bloß das erste, sondern auch das einzig wahre Bühnenbild zu sein. Das Stück selbst ist eine Versuchsanordnung, die den Schauspielern Raum zur Improvisation gibt. Wenn gleich zu Beginn des ersten, „PSST-PSST“ betitelten Aktes Gert Voss als Agent Heinrich Zucker auf der Suche nach seinem ehemaligen Ausbilder Brian Murdoch durch die Tiefgarage stolpert, wird keine Stoppuhr darüber wachen, wie lange diese Szene jeweils dauern wird.

Der Verrat ist das Leitmotiv dieses „Requiems“, das jedoch nicht ordentlich abgehandelt wird, um dann in ein moralisch einwandfreies Urteil zu münden. Murdoch: „Nennen Sie mich einen Lügner?“ – Zucker: „Eine Berufskrankheit.“

Taboris Dramaturgie funktioniert wie ein Seismograph, der von den Gefühlsschwankungen, die er aufzeichnet, selbst hin- und hergerissen wird. Und so bleibt auch Maggies Frage, warum Zucker sie während des Krieges an die Nazis verraten hat, letztlich unbeantwortet. Denn wenn auch die Geschichte des Spions einleuchtend klingt und an das Mitgefühl der Zuschauer appelliert, wurde sie doch durch Murdochs irritierende Aufforderung eingeleitet: „Na, lüg uns was Schönes vor.“ Tabori weiß, daß die Bühne nicht das Forum ist, um die Frage nach der Wahrheit zu beantworten. Wahrhaftigkeit der Schauspieler ist schon das Äußerste, was hier geleistet werden kann. Und selbst dies wird durch die Schauspielführung dieses alten Fallenstellers einer extremen Belastungsprobe unterzogen. Was Gert Voss nämlich in der Rolle des Spions Zucker bietet, ist einerseits große Schauspielkunst, andererseits aber auch eine enervierende Selbstparodie, die – angesichts der Tatsache, daß dies vorerst Voss' letzte Rolle in Wien war – einen ganz anderen Gedanken nahelegt: Requiem für einen Schauspieler?

Tabori ist aber nicht nur Fallensteller, sondern auch ein schlauer Fuchs, der den üblichen Fallen aus dem Weg zu gehen versteht. Sein Glaube an das Theater als perfekte Illusionsmaschine hält sich bei all seiner Theaterbesessenheit in Grenzen. Voss spielt im zweiten Akt mit Ursula Höpfner und Branko Samarovski eine köstliche Therapieklamotte – Theater als Therapie, Therapie als Theater. In diesem Zusammenhang zieht er auch Frauenkleider an, um die Radikalfeministin Maggie für sich einzunehmen. Der Regisseur verwehrt Voss aber das Verschwinden in der Hülle der Frau. Auf so genial schlampige und so ohne Hoffnung auf Täuschung gespielte Art blieb wohl selten eine Verwandlungschance ungenutzt.

An anderer Stelle, wenn Samarovski den Alkoholiker mimt, und Zucker entdeckt, daß Murdochs Flasche Tee und keinen Scotch enthält, wird dem Theater gegeben, was des Theaters ist: Auf der Bühne wird immer Wein gepredigt und Wasser getrunken. Ganz zu schweigen vom Benzin, das Samarovksi in einem Anfall von Verzweiflung über sich und den Garagenboden schüttet. Der Feuerlöscher an der Wand mag funktionieren, doch kein Wasser fängt Feuer. Welches Theater könnte es sich schon leisten, Herrmanns Räume in Flammen aufgehen zu lassen?

Für Isaak Babels Stück in acht Szenen „Sonnenuntergang“ schuf Herrmann ebenso viele Bilder, die, meist in die Diagonale gebaut und virtuos ausgeleuchtet, eine verblüffende Tiefe suggerieren – expressive Räume, in denen sich Dieter Giesings emotionsgeladene und doch verhaltene Interpretation eines 1913 in Odessa spielenden Generationenkonflikts einprägsam entfalten kann. Hans Michael Rehberg spielt den patriarchalischen Fuhrunternehmer Mendel Krik, der das Leben in vollen Zügen auskostet, aber nicht genießt, der sich selbst nicht schont – und noch weniger seine Familie und sein Unternehmen. Erst als er von seinen beiden Söhnen (Ulrich Tukur und Marcus Bluhm) brutal niedergemacht wird, wird plötzlich hinter Rehbergs vitaler Körperlichkeit das Alter sichtbar, über das er sich exzessiv hinweggesetzt hatte. Seine funkelnden Augen – das Zentrum seiner Agilität – verlieren mit einem Schlag ihren Glanz. Beim abschließenden Fest wird der Alte von seinem ältesten Sohn den Gästen vorgeführt wie ein domestiziertes Raubtier – Mendel Krik, ein Schatten seiner selbst. Dieter Bandhauer

Aufführungen von „Requiem für einen Spion“ am 15. und 16.5., 20 Uhr sowie am 17.5., 15 Uhr, Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz; von „Sonnenuntergang“ am 13.5., 20 Uhr, am 14.5., 20.30 Uhr, sowie am 15.5., 15 und 20.30 Uhr, Schiller Theater, Bismarckstraße 110.

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