piwik no script img

Wortblasen platzten sofort

PolitikerInnen sollten Neuköllner Oberschülern erklären, wozu Parteien nütze sind und was sie für die Jugend tun – und sahen dabei nicht gut aus  ■ Von Julia Naumann

Vielleicht haben sie sich selbst noch einmal wie Schüler gefühlt, die sechs PolitikerInnen, die am Mittwoch abend dichtgedrängt, Knie an Knie an den niedrigen zerkratzten Tischchen auf dem Podium saßen. Wie in einer Abschlußprüfung beim Abitur sollten sie den rund 100 SchülerInnen der Walter-Gropius-Gesamtschule in Neukölln drei Stunden lang erläutern, was die Parteien für die Jugend im Wahljahr tun. Weil die SchülerInnen sich gut vorbereitet hatten und immer wieder nachhakten, brachten die bohrenden Fragen von Bafög bis zu Gewalt und Rechtsradikalismus einige sichtlich ins Schwitzen.

Handfestes war gefragt

Zeit für Wortblasen wurde den PolitikerInnen nicht gegeben – nach vier Minuten, in der zweiten Runde bereits nach zwei Minuten Redezeit unterbrach gnadenlos ein grell klingendes Glöckchen. Und die kleine Glocke irritierte die RednerInnen sichtlich: Der bieder wirkende Andreas Knuth, Bundestagskandidat der SPD für Neukölln, wurde im Laufe seiner Rede immer hektischer, schließlich lief ihm der Schweiß über das hochrote Gesicht, und ähnlich wie die SPD- Werbung für die Europawahl „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ fiel ihm dann auch zu Jugendarbeitslosigkeit und Ausbildungshilfe nicht mehr viel ein. Der für die CDU eingeladene Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Volker Hassemer, gab sich dagegen anfänglich ganz gelassen: Demonstrativ spielte er mit seiner Brille und starrte gelangweilt in die Ferne. Doch Hassemer war der gefragteste aller PoltikerInnen, und so mußte er öfter antworten, als ihm augenscheinlich lieb war. Jede zweite Frage ging an ihn. Daß er es falsch findet, als Politiker immer gute Nachrichten zu bringen – Hassemers Eingangsstatement – juckte das Publikum gar nicht. Sie wollten nicht die bei allen anwesenden PolitikerInnen weitverbreitete Litanei des „Sparens an allen Ecken und Kanten“ hören, sondern Handfestes wissen: beispielsweise warum die CDU den Bafög-Satz einfrieren wolle und plane, in den nächsten Jahren 15.000 Studienplätze abzubauen, trotz der steigenden StudentInnenzahlen. Befriedigend geantwortet hat der Stadtentwicklungssenator aber anscheinend nicht, denn während seiner Ausführungen wurde aus den SchülerInnenreihen immer wieder „konkreter, konkreter“ gebrüllt.

Der jungenhaft wirkende Axel Hahn, Mitglied des Abgeordnetenhauses für die Neuköllner FDP, konnte trotz seiner poppig-roten Krawatte und dem vertraulichen „Ihr“ bei den Jugendlichen keine Sympathien gewinnen: Nervös las er seine Statements von Blatt ab und erzeugte mit seinen bürokratischen Formulierungen nur gelangweilte Blicke. Sein Vorschlag für neue Arbeitsplätze: mehr Freiheit für die Forschung, insbesondere in der Gentechnologie. Petra Pau, Landesvorsitzende der PDS, gab sich zwar sichtlich Mühe, den Jugendlichen ihre Vorschläge näher zu bringen, sprach aber ebenso wie der FDP-Abgeordnete zu abstrakt und mit viel Fachterminologie gespickt.

Keine Lorbeeren gewinnen konnte auch Peter Schünemann von den Neuköllner „Republikanern“. Er sei auf „ausdrücklichen Wunsch der Schülerschaft“ eingeladen worden, betonte ein Lehrer. Die Ausführungen des bulligen Jeans-Typs mit Harley-Davidson- T-Shirt und Ohrring über Jugendliche, die nur „Sieg Heil“ brüllen, um Aufmerksamkeit zu erlangen, sonst aber „ganz normale Jugendliche“ seien, wurden mit Buhrufen und Pfiffen quittiert.

Gewinner: die Grünen

Keinen einzigen Buhruf, sondern immer wieder heftigen Applaus bekam dagegen der verkehrspolitische Sprecher von Bündnis 90/ Grüne, Michael Cramer. Sein Pluspunkt: Er redete klar und deutlich mit den SchülerInnen, konnte sich „kidgerecht“ ausdrücken und wirkte nicht arrogant und gelangweilt – vielleicht weil er vor seiner politischen Karriere selbst Lehrer war.

Fazit: Nach der Veranstaltung wollten bei der Bundestagswahl fast alle der befragten Jugendlichen Bündnis 90/Grüne wählen. Bei einer internen Schulwahl der drei ältesten Jahrgänge in der vergangenen Woche waren die Grünen dagegen mit „nur 25 Prozent“ auf den zweiten Platz gekommen. Die SPD bekam 37,5 Prozent, die CDU nur schlappe 10,7; die FDP mit 3,0 landete hinter den 3,6 Prozent der PDS, und die „Republikaner“ bekamen fast neun Prozent aller Stimmen. Von fast zweihundert SchülerInnen haben 29 nicht gewählt. Und nicht nur die NichtwählerInnen, sondern auch viele andere sind nach dem „heiteren Politiker-Topfschießen“ (Volker Hassemer über die beschönigenden Aussagen der anderen Parteien) ratloser als zuvor. Als „Schwätzer“, „konzeptlos“, „Laberheinis“ wurden sie charakterisiert. Doch einige wollen Konsequenzen ziehen: „Wir organisieren uns selbst, dann sind wir nicht von den Parteien abhängig.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen