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Notfalls auf die Hacken treten

■ Turnfest: Schwerer Streß mit der Pauke / Wertungsmusizieren der Spielmannszüge in den Wallanlagen Von Turnfestkorrespondent Uli Exner

Kein Sponsorlogo. Keine ballonseidenen Trainingsanzüge. Kein Gedränge. (Fast) keine Zuschauer. Die Damen und Herren in den blauen Blazern und den - gelegentlich arg kurz geratenen - grauen Bügelfalten bleiben unter sich im Massenspektakel. Turnfest-Outlaws in Marschformation sozusagen, in Dreierreihen angetreten zum - jawoll - zum Wertungsmusizieren der Spielmannszüge und Blasorchester. Es schepperte reichlich gestern auf der Rollschuhbahn in Planten un Blomen.

Buff da buff da buftata. „Wie ein Berserker, immer feste druff.“ Erke Vanderglas, holländischer - wenn das der Turnvater wüßte - Wertungsrichter, ist nicht sonderlich begeistert über die Darbietungen des Paukisten der TSG Warfelden. Schließlich heißt das zum Vortrag ausgewählte Stück „In Harmonie“. Und davon kann nicht so ganz die Rede sein.

Ist ja auch nicht so leicht. Gleichzeitig marschieren und musizieren; auf „dynamische Schattierungen“, „in rhythmischer Hinsicht korrekte Realisation des Notentexts“, „Seitenrichtung, Gleichschritt, Schwenkung“ zu achten und dabei auch noch eine „ausgeglichene Grundstimmung“ zu behalten. Da kann schon mal ein Ton danebengehen. Oder ein Trommler aus der mit kleinen rotweißen Hütchen abgesteckten Marschbahn geraten. „Guck' mal, der macht'n Umweg“.

Schon wieder ein Minus auf dem „Punkte-Sammelblatt“, mit dessen Hilfe Wertungsrichter Vanderglas und Kollegen die Deutschen Meister im Wertungsmusizieren ermitteln. 41 Kapellen haben sich bei diesem Turnfest zum Wettbewerb angemeldet, für Unter-, Mittel- oder Oberklasse. Gewertet wird außer dem Marsch über die Rollschuhbahn auch ein Konzertvortrag in der Musikhalle.

Aber auch dort sind die Besucherreihen im großen Saal nur äußerst spärlich besetzt, wenn MTV Bokel, VFL Marburg oder TV Lemberg sich bemühen, „die notwendige Flexibilität und Modulationsfähigkeit in der tonlichen Gestaltung“ zu zeigen und die „Vorschriften für Lauter- und Leiserwerden“ zu befolgen. Kann ja auch keiner wissen, daß sich die sonst eher als trinkfeste Begleiter von Schützen und Karnevalisten denn als Sportler rubrizierten Spielleute einem derartigen Wettkampf-Streß aussetzen.

„Vielleicht ist es ja die nervliche Anspannung.“ Karl-Heinz Hoffmann, Stabführer der TSG Warfelden, nimmt seinen etwas aus der Harmonie geratenen Paukisten beim Wertungsgespräch in Schutz und darf dafür ein Lob für „Marschtempo und „kompakte Schwenkungen“ entgegennehmen. Allerdings: „Ne Menge Leute hatten Probleme mit dem Gleichschritt.“

Guter Tip zur Problemlösung folgt: „Beim Anmarsch notfalls auf die Hacken treten“.

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