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Der letzte Schrei des Westens im Osten

■ Krudes Nackt-Tokio: Nobuyoshi Arakis Fotografien bei Jablonka in Köln

Wer einen Hang zur Tragödie hat, sollte vielleicht kein Comic- Zeichner werden. Nobuyoshi Araki jedenfalls ist Fotograf geworden, und die Wahl erscheint ähnlich problematisch. Seine Fotografien haben etwas von einer großen Parabel, aber dann sind es eben doch nur Fotografien. Von der Stadt. Von Frauen. Von der Stadt. Von Frauen.

Die Metaphern lassen grüßen, während sie vorüberfliegen. Alles ist eitel. Aber heute noch nicht. Die Stadt Tokio ächzt in ihren Fugen, aber es kann auch Lust sein. Wolken paradieren vor dem Tüllvorhang, aber sie können auch gemalt sein. Frauen posieren als gefesselte Verführerinnen. Ihres Spiegelbilds.

Glaubt man dem Kölner Galeristen Jablonka, ist Araki in Tokio eine Art Popstar, der sich kaum auf die Straße trauen kann, weil Horden von Frauen von ihm fotografiert werden wollen. Der letzte Schrei: Eingehen in das fotografische Kuddelmuddel eines gezielt pathologisch zugeschnittenen Undergrounds – jenes Westens im Osten, der den roten Faden bildet im Karneval der Nacht. Und des Tages. Und der Abendhimmel. Und der großen Leere am Morgen, im Magen.

Araki, nach seiner musealen Ausstellung im Essener Folkwang letztes Jahr („Akt-Tokyo“), zeigt sich in der ersten deutschen Galerieausstellung gezielt krude; die Fotos sind mit Nägelchen an die Wand geheftet. Ein bißchen Autobiographie, ein bißchen Surrealismus, ein bißchen Reportage.

Wie Fenster von Bürogebäuden sind die Fotografien angeordnet. Von den kleineren Fotos bleibt jenes am besten in Erinnerung, das ein noch recht junges, teuer gekleidetes Paar zeigt, vor dem Schaufenster der Nina-Ricci-Boutique im Blitzlicht auf einem schmalen Marmor-Bordstein sitzend (eine Art Anti-Mode-Foto). Von den großen Bildern das einer jungen Frau, die ihre Brüste sich zurücklehnend so zeigt, daß man ihren Kopf nicht mehr sieht (ein ballettöser Torso).

Araki spielt mit fotografischen Zitaten, aber trotz des obsessiven Charakters der Unternehmung geschieht dies mit leichter Hand, en passant. Ein Körper am Boden wie bei Weegee, ein verregneter See wie bei Seidenstücker, komplizierte Stadtlandschaften wie bei Thomas Struth. Araki zieht alle Register, nur eins nicht: die Farbe. Sein Freistil in schwarz und weiß – nicht zu elaboriert hervorgebracht, aber auch nicht ohne Tiefe – hält zusammen, was so etwas wie ein Comic ist von einem, der einen Hang zur Tragödie hat. Und dem es irgendwie zugefallen ist, die Hauptrolle zu spielen. Ulf Erdmann Ziegler

Nobuyoshi Araki: Photographien. Bis zum 21. Mai in der Jablonka Galerie, Köln, Venloer Straße 21.

Zur Ausstellung liegt das in Japan erschienene Buch „Shi Sha Shin“ mit einem Großteil der Fotografien zum Verkauf aus. Ca. 90 DM.

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