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Lernziel für Pauli: den Ernst erkennen

■ Einfach nur erschütternd, oder: Betrachtungen über das Verlieren Von Katrin Weber-Klüver

Vor kurzem, der FC St.Pauli war noch mitten in der euphorischen Spätphase seiner niederlagenfreien Halbjahresserie, waren im Magazin einer großen deutschen Tageszeitung Betrachtungen zum Siegen und Verlieren im Sport zu lesen. Die finale These hieß: „Sieger sind stark, herrlich, begeisternd. Aber interessant - interessant sind nur die Verlierer.“

Das ist natürlich völliger Unsinn. Beziehungsweise macht es nur in den raren Momenten Sinn, wo die Niederlage groß ist als Teil eines später erinnerungswürdeigen Gesamtereignisses. Auf die jüngere Historie des hier behandelten Vereins bezogen wäre das dritte Relegationsspiel gegen die Stuttgarter Kickers im Sommer 1991 anzuführen. Oh, süßer Schmerz des heroischen Untergangs!

Aber das ist nicht Alltag. Alltag ist eine 0:3-Niederlage des FC St. Pauli an einem Freitag abend in der verregneten Krefelder Grothenburg-Kampfbahn gegen den FC Bayer Uerdingen; eine Niederlage am 34. Spieltag, gegen die die dreizehn aktiv beteiligten Hamburger Spieler keinerlei Mittel in Kopf und Beinen parat hatten. Soviel gebündelte Schwerfälligkeit ist aber allerhöchstens als Fallstudie für Sportpädagogen interessant, wenn sie über motivierende Trainingskonzepte für geistig und körperlich komatöse Kicker nachdenken; für einen parteiischen Zuschauer sind 90 Minuten planloses Herumstochern nach dem Ball und ebenso langes vergebliches Hinterhertraben hinter sprintenden Gegnern bloß erschütternd.

Wenn dieser Auftritt in Krefeld die ernstgemeinte Vorstellung eines Tabellenzweiten war, der ernsthaft in die Erste Bundesliga aufzusteigen wünscht, dann ergeben sich zwei mögliche Schlüsse. Erstens: Die Liga ist so schlecht, daß man eigentlich gar nicht mehr hingucken möchte. Zweitens: Die Hamburger wissen nicht, was Ernst ist und erst recht nicht, wann es Ernst ist.

St. Paulis Trainer Seppo Eichkorn fiel es daher „schwer, das Spiel zu kommentieren.“ Seinem Krefelder Kollegen Friedhelm Funkel hingegen ging die präzise Beurteilung des Geschehens leicht von den Lippen. Er fragte nach dem Tätigkeitsprofil seines Torwartes: „Ich weiß nicht, ob der Bernd Dreher überhaupt einen Ball halten mußte.“ Eine rhetorische Frage, auf die sich die Antwort schamhaft verbot. Angesichts von drei Niederlagen in Folge, nur noch einem Punkt Vorsprung auf einen Nicht-Aufsteigerplatz und vier ausstehenden Spielen ist es für die erschlafften St. Paulianer ohnehin probater, sich optimistischer klingenden Zustandsbeschreibungen hinzugeben. Version Eichkorn: „Wir fahren zwar mit einer Niederlage nach Hause, aber wir stehen auf dem zweiten Platz, und den wollen wir verteidigen.“

Nur Kleinkrämer bemäkeln an dieser Stelle, daß nach Minuspunkten die Uerdinger schon an den St. Paulianern vorbeigezogen sind (und diese aller augenblicklich zu berechnenden Wahrscheinlichkeit nach auf die tatvolle Unterstützung des Bochumer Tabellenführers in dessen Trockeneis-Wiederholungsspiel gegen die Uerdinger angewiesen sein werden).

Doch soll der Defätismus hier nicht zu weit getrieben werden. Fassen wir es im Sinne guter Unterhaltung (wenngleich einzuwenden ist: Als ob es darum ginge!) positiv: Die Spannung in der Ligaspitze ist wieder gestiegen, seit der FC St. Pauli verliert. Und das ist dann wohl das Interessanteste selbst an blamablen Niederlagen: Der nachfolgende Sieg ist einen Hauch prickelnder als ein Sieg nach einem Sieg und noch einem und noch einem.

Heute abend (20 Uhr) gastiert Fortuna Düsseldorf am Millerntor. Es ist das Spiel der drittbesten Heim- gegen die zweitbeste Auswärtsmannschaft der Liga. Was verspricht das? Genau: Interessant zu werden.

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