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Goldene Nasen mit Altlasten

In Deutschland gibt es 200.000 Verdachtsflächen / Säuberung von einer Tonne verseuchtem Boden kostet bis zu 300 Mark  ■ Von der Entsorga-Messe Annette Jensen

Köln (taz) – Auch wenn die Tankstelle schon vor langer Zeit geschlossen wurde – hier sollte der Papst den Boden besser nicht küssen. Fast hundertprozentig ist die Erde dort selbst nach Jahrzehnten noch verseucht. „Früher glaubten die Leute, flüchtige Stoffe würden an die Luft abgegeben und könnten das Grundwasser nicht gefährden. Heute weiß man, daß das falsch ist“, sagt der Altlastenexperte Hans-Peter Kauth vom Gutachterbüro Ecoplan, das dem TÜV-Südwest gehört. Benzin und Lösemittel sind im Erdreich nämlich ausgesprochen mobil, so daß das Regenwasser sie sogar durch Beton hindurch mit in die Tiefe ziehen kann.

Rund 200.000 Altlasten-Verdachtsflächen gibt es in Deutschland; ein Fünftel davon muß gereinigt werden, schätzen Branchenkenner. Vor allem große Baufirmen haben die Sanierung von kontaminierten Böden als neues, lukratives Standbein entdeckt, wie sich auf der Entsorga-Messe in Köln zeigt. In den nächsten Jahren winken hier Umsätze zwischen 100 und 400 Milliarden Mark – wenn, ja wenn die gesetzlichen Grundlagen endlich klar wären und bestehende Vorschriften eingehalten würden. Offiziell muß zwar zahlen, wer den Dreck verursacht hat. Tatsächlich aber sind die Schmutzfinken oft nicht mehr aufzufinden, so daß die öffentliche Hand bei der Säuberung von Altdeponien oder Industriebrachen herhalten muß. „Gerade im Osten werden wegen der Arbeitsplätze oft beide Augen zugedrückt“, glaubt Jochen Zingelmann, Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Öko Chem, einer Tochterfirma des Baukonzerns Baresel. Und die Westkommunen haben ebenfalls kaum Geld, um solche Flächen zu sanieren oder zumindest zu sichern. Der Druck von der Bevölkerung ist hierbei meistens auch gering: Eine akute Gefährdung gibt es selten, und kaum jemand ahnt überhaupt die schleichende Gefahr in der Umgebung.

30 verschiedene Listen über Sanierungsbedarf

Seit zweieinhalb Jahren wird in Bonn an einem neuen Bodengesetz herumgewerkelt, das aber wohl kaum vor den Wahlen im Herbst die parlamentarischen Hürden nehmen wird. Die Industrielobby will verhindern, daß darin ein Vorsorgeprinzip festgeschrieben wird. Zu teuer und risikoreich, lautet deren Argument.

So werden die Behörden vermutlich noch eine ganze Weile nach inzwischen dreißig verschiedenen Listen über die Sanierungsbedürftigkeit von Böden entscheiden. Während die Beamten in Nordrhein-Westfalen seit dem Beginn von Altlastensanierungen Anfang der 80er Jahre nach wie vor von festen Grenzwerten ausgehen, sind ihre KollegInnen in Baden-Württemberg schon weiter: Sie stellen die Gefahrenabschätzung in den Mittelpunkt. Nicht nur die geplante Nutzung spielt dabei eine Rolle. Auch die Mobilität der Stoffe sowie die Risiken für Menschen, Pflanzen, Wasser und Luft werden bewertet. „Tatsächlich ist es viel zu teuer und energieaufwendig, jeden Boden wieder in einen Zustand zu versetzen, bei dem man Gemüse darauf ziehen kann“, so Hans-Peter Kauth.

Etwa 50 Unternehmen in Deutschland verdienen ihr Geld mit der Reinigung von Erde. Die meisten wenden dafür ein mikrobiologisches Verfahren an. „1924 wurde entdeckt, daß es im Boden Bakterien gibt, die sich ausschließlich von Lösemitteln ernähren können. Wir bieten diesen Organismen optimale Lebensbedingungen“, beschreibt Gustav Henke von der Firma Umweltschutz Nord aus Ganderkesee das Prinzip. Dafür wird die verseuchte Erde zunächst ausgekoffert und in einem großen Zelt gelagert. Wärme, Sauerstoff und Nährstoffe regen die Bakterien zu einer rasanten Vermehrung an: Bei optimalen Bedingungen verdoppelt sich ihre Anzahl alle 20 Minuten. „Sobald der Schadstoff aufgefressen ist, sterben sie wieder ab“, beruhigt Henke mißtrauische ZeitgenossInnen. Drei bis sechs Monate dauert die Reinigung im Durchschnitt; ohne Unterstützung würden die Bakterien Jahre oder gar Jahrzehnte benötigen. Die Reinigungskosten für eine Tonne Erde belaufen sich auf etwa 120 bis 300 Mark – je nach Verschmutzungsgrad und Verschmutzungsart. Umweltschutz Nord, eines der zehn größten Unternehmen der Branche, betreibt etwa 14 festinstallierte Anlagen mit einem Durchsatz von 300.000 Tonnen. Allein von VW sollen aus Chemnitz demnächst 100.000 Tonnen verseuchten Bodens angeliefert werden.

„Ich halte die mikrobiologische Reinigung für Etikettenschwindel“, verkündet Jochen Zingelmann und preist statt dessen die mobile Waschanlage seiner Firma an. 8 bis 16 Tonnen Aushub werden in eine große Wanne gekippt, mit Tensiden angereichert und geflutet. Etwa eine Stunde lang blubbert der Matsch, durch den von unten Luft hindurchgedrückt wird. Nachdem Vakuumfilterkerzen die Flüssigkeit abgesaugt haben, kann der Boden wieder dorthin, wo er hergekommen ist. Zwischen drei und zehn Prozent Waschrückstände bleiben übrig, die als Sondermüll deponiert werden. 150 bis 250 Mark muß der Auftraggeber für jede Tonne berappen; nur bei grobkörnigem Material wie zum Beispiel Gleisschotter kostet die Sanierung weniger als 100 Mark.

Bei Teerverseuchungen aber hilft nur die Verbrennung. Heraus kommt dabei steriler Boden, der nur mit Nährsubstraten wieder zu Leben erweckt werden kann. In Deutschland gibt es bisher nur in Herne einen derartigen Betrieb mit einer Jahreskapazität von 30.000 Tonnen. Mehrere Öfen sind jedoch in Planung; in Berlin soll schon in wenigen Wochen eine thermische Anlage die Arbeit aufnehmen. Der größte Teil derart verseuchten Bodens aber wird nach wie vor in die Niederlande gekarrt; allein Nordrhein-Westfalen läßt 100.000 Tonnen Erde beim Nachbarn im Westen aufbereiten. Dort ist man in puncto Altlasten sowieso schon wesentlich länger am Ball. „Die Holländer sitzen ja fast im Grundwasser und haben deshalb schon früh gemerkt, daß etwas mit den Böden nicht stimmt“, so Hans-Joachim Schmitz, Chefredakteur des Fachmagazins Wasser, Luft und Boden.

Auch wenn Jochen Zingelmann stellvertretend für die Branche klagt, daß die Preise sinken und mit Altlastensanierung kein Geld zu verdienen sei, wollen doch zahlreiche Betriebe neue Kapazitäten aufbauen. Drei Millionen Tonnen Erde jährlich könnten in Deutschland gereinigt werden, wenn alle geplanten Anlagen gebaut würden. Das dürfte wohl nicht nur den Papst freuen.

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