■ Seit Sonntag ist die von der UNO verhängte Wirtschaftsblockade gegen Haiti in Kraft. Über das weitere Vorgehen der US-Regierung gegenüber der Militärjunta herrscht jedoch Konfusion.
: Haiti auf sich allein gestellt

Seit Sonntag ist die von der UNO verhängte Wirtschaftsblockade gegen Haiti in Kraft. Über das weitere Vorgehen der US-Regierung gegenüber der Militärjunta herrscht jedoch Konfusion.

Haiti auf sich allein gestellt

Viel schlimmer, möchte man meinen, kann es für die Bevölkerung Haitis nicht mehr kommen. Seit Sonntag null Uhr ist das neue Wirtschaftembargo in Kraft, das der UN-Sicherheitsrat am 6. Mai gegen den Inselstaat beschlossen hatte. Offiziell sollen nur noch humanitäre Hilfsgüter das ärmste Land in der Hemisphäre erreichen. Doch jeder US-Amerikaner konnte sich am Wochenende vor dem Fernseher von dem überzeugen, was der Clinton-Regierung und der UNO seit Monaten bekannt ist: Während Hilfsorganisationen vor Ort kaum noch die notwendigste Versorgung der Armen gewährleisten können, deckt sich die Militärjunta unter Armeechef Raoul Cedras dank eines regen Grenzverkehrs mit der Dominikanischen Republik mit allen nötigen Gütern ein — vor allem mit Benzin, das dann in Haiti zu horrenden Preisen weiterverkauft wird. Zu den Abnehmern in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince soll nach Angaben der New York Times auch die US-Botschaft gehören.

Folglich verwundert es niemanden, daß die Militärs in Port-au- Prince weiterhin Durchhalteparolen ausgeben und Armeechef Cedras mittlerweile lancieren läßt, daß er sich selbst zum Präsidenten wählen lassen möchte. Gleichzeitig herrscht in Washington weiterhin Konfusion über die langfristige Haiti-Politik der US-Regierung. Denn auch das neue Embargo ist mit keinem konkreten Zeitplan für eine Rückkehr Jean-Bertrand Aristides, des demokratisch gewählten und 1991 weggeputschten Präsidenten Haitis, versehen. Auch wird die Blockade nach Aussagen von Hilfsorganisationen die Verelendung der Mehrheit der Bevölkerung noch beschleunigen.

In Washington hofft man offenbar, durch die verschärften Wirtschaftssanktionen die Unterstützung der haitianischen Geschäftselite für die Militärs zu untergraben. Doch dieses Kalkül wird kaum aufgehen, solange der eben wiedergewählte Präsident der Dominikanischen Republik, Joaquin Balaguer, den umfangreichen Schmuggel an der Grenze zu Haiti zuläßt. Daß die US-Regierung nicht schon längst Druck auf die Regierung in Santo Domingo ausgeübt hat, ist vielen Exilhaitianern Indiz für den fehlenden politischen Willen, die Rückkehr Aristides zu erzwingen. Einflußmöglichkeiten gäbe es genug: Die Wirtschaft der Dominikanischen Republik ist mit ihren Zucker- und Textilexporten fast gänzlich von den USA abhängig. Zudem wurde in den vergangenen Jahren nach Angaben von Menschenrechtsgruppen das gesamte Offizierskorps zur Aus- und Weiterbildung an die „School of the Americas“ im US-Bundesstaat Georgia geladen.

In Washington haben sich unterdessen ungewöhnliche Koalitionen für eine US-Militärinvasion zur Wiederherstellung der Demokratie in Haiti gebildet. Da sehen sich politisch eher dem linksliberalen Spektrum zugehörige afroamerikanische Kongreßabgeordnete des „Black Caucus“ vereint mit Mitarbeitern aus Lateinamerika- Solidaritätsgruppen, einigen wenigen Beratern in der Regierung sowie konservativen Politikern aus dem US-Bundesstaat Florida, die mit einer Invasion eine neue Flüchtlingswelle verhindern möchten. Ihnen steht ein Teil der haitianischen Exilbewegung gegenüber, die jede militärische Intervention als Okkupation ansehen, sowie eine Mehrheit von Kongreßmitgliedern, die ein militärisches Eingreifen entweder aus Antipathie gegenüber Aristide oder aus Angst vor dem „Somalia-Syndrom“ ablehnen.

Solange es den USA gelingt, die haitianischen Boat people unter Kontrolle zu halten, dürfte auch Bill Clinton keinerlei Interesse an einem militärischen Eingreifen haben. Für seine „neue“ Flüchtlingspolitik hat sich der US-Präsident mittlerweile den Segen der Hohen Flüchtlingskommissarin Sadako Ogate geholt. Clinton hatte am 8.Mai nach scharfem Protest von Menschenrechtsgruppen und Kongreßabgeordneten angekündigt, haitianische Flüchtlinge nicht mehr, wie bisher, völkerrechtswidrig auf hoher See abfangen und zurückschicken zu lassen. Statt dessen sollen ihre Asylanträge nun auf Schiffen oder auf dem Territorium von Drittländern in der Karibik entschieden werden. Ogate hatte am Freitag erklärt, UNO-Personal zur Überprüfung der Anträge zur Verfügung zu stellen. Der Konflikt zwischen den USA und dem UNHCR dürfte allerdings programmiert sein. Denn Ogate verlangt von Washington, weit mehr Haitianern Schutz vor Verfolgung zu gewähren, als Bill Clinton innenpolitisch opportun erscheint. Andrea Böhm, Washington