■ Geheimnisvolle Streptokokken-Krankheit ist nichts Neues
: Noch mehr Tote in Großbritannien

Dublin (taz) – An der bakteriellen Infektion, die zur Zeit in Großbritannien umgeht (siehe Wahrheit von gestern), sind in diesem Jahr bereits acht Menschen gestorben. Möglicherweise liegt die Zahl noch höher, weil einige Fälle aufgrund der Medienberichte erst im nachhinein als „nekrotisierende Fasziitis“ – eine Zerstörung des Bindegewebes – diagnostiziert worden sind. Die Infektionserkrankung ist zwar vor allem in der englischen Grafschaft Gloucester aufgetreten, doch auch aus anderen Landesteilen sind inzwischen Fälle gemeldet worden.

Am Dienstag starb eine junge Frau in der südenglischen Stadt Chertsey. Sie war in der vergangenen Woche an der Infektion erkrankt, nachdem sie ein Baby per Kaiserschnitt zur Welt gebracht hatte. Ein Arzt sagte, daß die Frau eigentlich gestern aus dem Krankenhaus entlassen werden sollte, da die Infektion abgeklungen schien. Ebenfalls am Dienstag erlag eine 45jährige Frau in Südwest- London der Infektion, und in der Nacht zu gestern starb eine 46jährige in Gloucester daran.

Die Bakterien, die Muskel- und Fettgewebe sowie Organe regelrecht auffressen, gehören zu den beta-hämolytischen Streptokokken der Gruppe A. Sie sind keineswegs eine Neuentdeckung: Im 19. Jahrhundert fielen ihnen vor allem frisch Operierte zum Opfer. Mit der Verbesserung der Hygiene in den Operationssälen gingen die Erkrankungen drastisch zurück. Außerdem gehörten Streptokokken zu den ersten Bakterienarten, die erfolgreich mit schwefelhaltigen Medikamenten und später mit Penicillin behandelt werden konnten. So galten sie vor 20 Jahren als ungefährlich, da sie lediglich harmlose Halsentzündungen auslösten.

Seit Anfang der achtziger Jahre haben Streptokokken jedoch an Bösartigkeit erheblich zugenommen. Wissenschaftler gehen davon aus, daß das auf eine Mutation im Organismus zurückzuführen ist. Es gibt zwei Theorien: Entweder können die Erbanlagen, die DNS, durch einfaches Berühren von einer Bakterie auf die andere übertragen werden, oder ein bisher unbekannter Virus überträgt die veränderten DNS. Das Phänomen ist nicht auf Großbritannien beschränkt: In der Gegend um Bergen in Norwegen tritt die Krankheit seit anderthalb Jahren überraschend häufig auf, und auch aus Kanada, Australien und den USA werden vermehrt Fälle gemeldet. Ansteckungsgefahr besteht jedoch nur bei engem Kontakt: Die Bakterien werden über Blut und Schleimhäute übertragen. Das prominenteste Opfer der Infektion ist Jim Henson, der Erfinder der „Muppets“.

Dennis Stevens, Medizin-Professor an der Universität Washington, hat bereits vor fünf Jahren auf die veränderten Eigenschaften der Streptokokken hingewiesen und behauptet, daß viele Menschen seitdem nur deshalb gestorben sind, weil Patienten und Ärzte den Ernst der Infektionen nicht rechtzeitig erkannt haben. Streptokokken reagieren nämlich durchaus auf Antibiotika. Ob das so bleibt, ist aber nicht sicher: „Bakterien sind schlauer als Menschen“, sagte ein Wissenschaftler. „Mit der Zeit finden sie immer einen Weg, um die Antibiotika zu überleben. Gegen jede chemotherapeutische Behandlung resistente Bakterien sind nicht mehr länger unvorstellbar.“

Die britischen Gesundheitsämter betonen jedoch, daß es keinen Grund für Panik gebe. Christopher Bartlett von der Stelle für meldepflichtige Krankheiten sagte: „Nach unserem derzeitigen Informationsstand sind die Fälle noch im Rahmen der zu erwartenden jährlichen Zahlen.“ Er fügte hinzu, daß es wahrscheinlicher sei, beim Überqueren der Straße getötet zu werden als durch eine Streptokokken-Infektion. Ralf Sotscheck