: Massenmörder und kein Ende
Maximal niedlich: John Waters' Komödie „Serial Mom“ – Glanz ohne Elend einer lustigen Serienkillerin ■ Von Karl Wegmann
Schuld hat ganz alleine Anthony Hopkins! Eigentlich war nämlich der Massenmörderboom längst gebrochen. Seine Hochzeit erlebte der Serienkiller in den 80er Jahren. In diesem seltsamen Jahrzehnt hatte nun wirklich jeder Krimischreiber, der auch nur eine Spur geschäftstüchtig war, einen killenden Irren im Programm. Dann kamen die 90er; alles wird gut, dachten die Krimifans, denn die Psycho- und Soziopathen waren inzwischen ratzeputz abgefrühstückt, jetzt mußten sie sich endlich etwas Neues einfallen lassen. Allein, zu früh gefreut. Da kommt doch 1991 Herr Jonathan Demme daher, schnappt sich den „ultimativen Psychokillerroman“ (Washington Post), bringt ihn auf die Leinwand, und Hopkins spielt den Dr. Hannibal Lecter (ein Kannibale mit Stil) wie einen Gott. Der gefangene Psycho ist kultiviert, weiß alles, kann alles und kennt den Sinn des Lebens – eben Töten, besser Schlachten. Neben Dr. Lecter wirkte Norman Bates wie Schneewittchen. Die ganze „Schweigen der Lämmer“-Crew wurde mit Oscars überschüttet, die Auflagen der Harris-Romane schossen ins Universum, aber alle wollten mehr – mehr Killer, mehr unappetitliche Schlitzereien, mehr Grauen, mehr vom absolut Bösen eben. Daß sie dazu nur die Abendnachrichten hätten einschalten müssen, zählte nicht. Also wurde die Massenmördermaschinerie kurzerhand wieder angeworfen – und trieb seltsame Blüten. Der eigentlich ganz anständige Thriller- Autor David L. Lindsey zum Beispiel gebar 1992 eine serienmordende Frau („Teuflisch“); völlig abwegig, denn das typische Monster ist ein Mann, Weißer, zwischen 30 und 45 Jahren alt und oft (aber nicht immer) überdurchschnittlich intelligent. Diese Daten kannten die Leser, Lindsays Roman floppte. Die Konzertreise des Hardcore-Rappers Ice-T, er nannte sie „Mass Murder Tour '93“, war ein Gag am Rande, ebenso Axl Roses Charlie-Manson-T-Shirt. Überhaupt nicht witzig war dagegen die Flut von sogenannten True-Crime-Stories, also Geschichten über echte Mordbuben, die da plötzlich in Zeitungen, Magazinen, im Fernsehen, als Taschenbücher usw. über uns hinwegschwappten. Die Welt war plötzlich voller Mörder, und sie wurden sämtlichst – siehe Jeffrey Dahmer – bis zum letzten Tropfen bösen Blutes ausgequetscht. Was aber steht am Ende der Hysterie? Richtig: die Komödie.
Dabei gibt's Killerkomödien ebenfalls schon mehr als genug. Zuletzt versuchte sich der Regieneuling Thomas Schlamme an einer und fiel mit „Liebling, hältst du mal die Axt“ böse auf die Schnauze. Doch wenn sich eine „skandalöse Subkultur-Figur“ (Spiegel) namens John Waters des morbiden Themas von der humoristischen Seite nähert, dann darf man einiges erwarten. Für den Regisseur von „Polyester“ und „Hairspray“ ist Wahnsinn ein wohlbekanntes Gebiet. So interessiert sich Waters in „Serial Mom“ auch nicht in erster Linie für den Wiederholungstäter, sondern dafür, wie sogenannte Journalisten den Mördern augenblicklich zu Berühmtheit verhelfen. „Sobald du heute ein Verbrechen zugibst“, weiß Waters, „sind die Agenten da, und du bist nächste Woche im Fernsehen. Ich versuche, den Humor und die Ironie dieses ganzen Phänomens zu zeigen.“ Ein ehrenwerter Versuch, doch leider blieb es beim Versuch.
„Serial Mom“ erzählt von einer Kleinfamilie in einer Vorstadt. Papa (Sam Waterston) ist Zahnarzt, Tochter Misty Studentin, Sohn Chip Schüler und Horrorfilmfan, und Mama (Kathleen Turner) ist eine perfekte Hausfrau, Glucke und Serienmörderin. Bekommt Chip eine schlechte Note, zieht Mom los und killt den Lehrer; Misty wird von ihrem Freund versetzt, Mutter ersticht ihn; die Nachbarin trennt den Abfall nicht, sie wird erschlagen. Als man Serial Mom schließlich auf die Schliche kommt, steigt sie prompt zum Medienereignis erster Güte auf und wird vor Gericht freigesprochen.
Nette Geschichte, doch ihr fehlt der Biß. Daß das Grauen in der Vorstadt wohnt, wissen wir schon, nichts Neues im Idyll. Die Symbolik einer knusprigen Lammkeule als Mordwaffe? Gähn! Und die gute Kathleen Turner (siehe Portrait Seite 11) grinst die ganze Zeit pausbäckig in die Kamera; selbst wenn sie einem Opfer den Feuerhaken in den Leib rammt und mit einem Stück Leber wieder herauszieht, wirkt das weder schockierend noch lustig, sondern einfach nur blöd. Das ist nicht mehr Waters, nicht mehr Trash, sondern eine lauwarme Angelegenheit, reinster Hollywood-Mainstream, eine niedliche schwarze Komödie für die ganze Familie. Einzig zum Schluß, wenn die Metal-Mädels von L7 auftreten, blitzen Waters' alter, hundsgemeiner Humor und seine ätzende Gesellschaftskritik noch einmal auf. Die Band nennt sich im Film „Camel Lips“ (wenn die Kamera zum Schritt der Damen fährt, weiß man, was gemeint ist), und sie bringen unter Applaus den Song „Gas Chamber“ zu Gehör, während auf der Bühne ein jugendlicher Fan verbrennt.
Einen Verdienst kann sich John Waters aber doch ans neue Seidenjackett heften, hat er doch eine Marktlücke im Massenmordgeschäft entdeckt. Der neue Trend heißt: Geschichten über den Rummel um Serienkiller. Der nächste Film zum Thema ist schon abgedreht. Es ist Oliver Stones „Natural Born Killers“, in dem ein amoklaufendes Pärchen zu Medienstars wird. Aber eigentlich wartet die Welt nicht auf die Abfallprodukte, sondern auf das Original, nämlich darauf, daß Thomas Harris endlich mit seiner Fortsetzung der „Lämmer“ fertig wird und Anthony Hopkins wieder in Aktion treten kann.
John Waters: „Serial Mom – Warum läßt Mama das Morden nicht?“. Mit Kathleen Turner, Sam Waterston u.a. USA 1994, 93 Min.
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