: Der mit dem Ball tanzt
Ciriaco Sforza, möglicher Herzog-Nachfahre, hat sich für die WM Großes vorgenommen ■ Von Günter Rohrbacher-List
Kaiserslautern (taz) – Manch einer pfeift auf seine Urahnen. Ciriaco Sforza, 24 Jahre altes Mittelfeldgenie des 1. FC Kaiserslautern und der Schweizer Nationalmannschaft sowie designierter Neuzugang bei Lazio Rom, schüttelt erst einmal den Kopf, als er von den Mailänder Herzögen Sforza hört. „Meinen Namen gibt es nicht oft, vielleicht bin ich ja wirklich ein Nachkomme dieser Leute.“ Der 25fache helvetische Internationale schließt eine Verwandtschaft mit dem Förderer des frühen „Calcio Milanese“, Herzog Galeazzo Maria Sforza, nicht aus. Jener stand im 16. Jahrhundert für allerlei Grausamkeiten. Petrino de Castello, der es wagte, sich mit einer der Geliebten des Herzogs zu unterhalten, ließ er beide Hände abhacken; Pietro Drago wurde gar lebendig begraben, und Giovanni da Verona büßte einen Hoden ein. Aber Galeazzo holte auch den Florentiner Fußball nach Mailand und machte ihn dort hoffähig. Den Namen Sforza hatte er ererbt von seinem Großvater Muzio Attendolo, der ein gar tapferer Soldat gewesen sein soll, wofür ihm sein Kommandant den Beinamen Sforza verliehen haben soll. Gleichwohl, Muzio starb im Wasser, als er selbstlos einen Pagen vor dem Ertrinken retten wollte.
Dem potentiellen mehrfachen Urenkel Ciriaco aus der Sippe derer von Avellino kann solch Mißgeschick kaum widerfahren. Er hat Boden unter den Füßen. Wie hätte er es sonst mit 22 Jahren zu einem Vorvertrag mit dem SSC Neapel bringen können? Nur eine Verletzung verhinderte den Transfer. „Ein Wechsel nach Italien wäre zu früh gekommen“, sagt der 24jährige bescheiden, um gleich darauf zu behaupten: „Wenn ich schon nach Italien wechseln sollte, dann nur zu einem der etablierten Clubs.“ Foggia oder Cagliari seien „kein Thema“.
Schon vor der letzten Saison unkten manche auf dem Betzenberg, der Schweizer werde nicht lange in der Pfalz spielen. Mit konstant überdurchschnittlichen Leistungen hat Sforza seinen Aufenthalt im Südwesten wohl ungewollt verkürzt. Eine gute WM in den USA wollten die Geldsäcke von Lazio Rom erst gar nicht abwarten und boten vorab einen zweistelligen Millionenbetrag. Da kann der 1. FCK auch nicht nein sagen. So sind Sforzas Tage auf dem Betzenberg gezählt.
Dabei gefällt es dem Nachfahren des Ertrinkenden im bodenständigen Enkenbach-Alsenborn, in der Nachbarschaft des großen Fritz Walter. Außer zu den Länderspielen fuhr er selten in die Schweiz, weil das zum einen „doch weit weg ist“ und er die Pfälzer überdies „einfach nett“ findet. Nach seinem Siegtor gegen den VfB Leipzig erhielt er gar die gelbe Karte, weil er vor Begeisterung und Freude den Zaun hochgeklettert war. Wegen der Atmosphäre hat er den Betzenberg dem VfB Stuttgart und dem Karlsruher SC vorgezogen. Und schon im ersten Jahr seines Wirkens wurde er Vizemeister, schoß acht Tore, bereitete viele Treffer vor. „Unser Ziel war es, international zu spielen“, ging es Sforza vor allem um die Qualifikation für einen UEFA- Cup-Platz. Energisch beklagt Sforza die Neuordnung der europäischen Wettbewerbe, schimpft über viel zuviel Taktik in der hochgepriesenen Champions League und die Aufblähung des UEFA- Cups.
International hat Ciriaco Sforza 1994 noch genügend Gelegenheit zu glänzen, die Reputation des Schweizers Fußballs gemeinsam mit Stéphane Chapuisat, Alain Sutter und Adrian Knup zu mehren. Nach der erfolgreichen Qualifikation gegen Schottland und Portugal stehen in der Vorbereitung Spiele gegen Argentinien, die Niederlande und Deutschlands Gruppengegner Bolivien an. Härtetest pur. „Wir haben eine sehr schwere Gruppe erwischt und müssen zudem im ersten Spiel gegen Gastgeber USA ran“, relativiert Sforza zum einen die Schweizer „Heldentaten“ der jüngeren Vergangenheit. Immerhin hat es 28 Jahre gedauert, bis wieder ein eidgenössisches Team zu einem großen Turnier fahren darf. Kolumbien, Rumänien und die Amis seien schon „harte Brocken“. „Letztlich“, sagt Sforza stolz, „wir sind wir ein gutes Team.“ Und: „Dänemark ist ja auch Europameister geworden.“ Hoppla: Kleines Land ganz groß.
Aber gleich darauf übt er sich in Selbstbescheidenheit: „Ich kann mich überall noch verbessern“, sagt er und schlägt die Abneigung seines Nationaltrainers Roy Hodgson gegen sein Engagement in der Bundesliga in den Wind. Der warf den Deutschen mangelnde Kreativität vor und wollte seinen Regisseur gleich zu einem Wechsel nach Italien animieren. Vielleicht lockt ja eines Tages das Castello Sforzesco in Milano, und Ciriaco tanzt im Stadion Guiseppe Meazza in San Siro mit dem Ball – 470 Jahre nach dem Ende der Mailänder Herzöge und dem Verlust der Unabhängigkeit der Stadt.
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