: Auch Gewalt hat eine Faszination
Wieviel Pädagogik verträgt Schultheater? Bericht vom 15. Theatertreffen der Jugend ■ Von Petra Brändle
Eigentlich zu schön, um wahr zu sein: „Unsere Jugend“ beschäftigt sich nicht nur gewaltfrei, sondern – in den heutigen Videoclip- und Gameboy-Zeiten erstaunlicherweise – auch künstlerisch, nämlich mit Theaterspielen. Das ist sinnstiftend, ja persönlichkeitsstärkend und läßt Hoffnungen keimen: Unverbogen, froh und munter werden sie die Zukunft in die Hand nehmen, diejenigen, die jetzt beim 15. Theatertreffen der Jugend in Erscheinung treten.
Sie sehen aus wie blankgeputzte Engelchen, manchmal mit wildem Haar und jugendlich-trotzigem Blick, dennoch unschuldig und mit modischen Accessoires behangen. Auf der Bühne versprühen sie einen naiven, unbekümmerten Charme, wie er auf den Bühnen der Off-Szene meist schmerzlich vermißt wird. Die Theatergruppe des Berliner Robert-Koch-Gymnasiums (Kreuzberg) „The Wild Bunch“ ist das beste Beispiel dafür: Die SpielerInnen sind zwischen 13 und 23 Jahren alt und wickeln einen mit dem Märchen „Die kluge Jungfer“ zum Auftakt listig, mit Witz, Tempo, Ironie und vor allem Lust am Spiel und Stilbruch gnadenlos ein.
Nach dem Spiel überrascht man diese Jugend dann in eifrigen Diskussionen über das Theater und manchmal mitten im Austausch wilder, erstmals öffentlich demonstrierter Knutscherei. Zehn von 188 schauspielernden Schulgruppen, das heißt 150 Jugendliche zwischen neun und 25 Jahren, sind aus Städten und Provinzen, sicher teils sorgenvoll von den Eltern entlassen, in den Großstadtmoloch Berlin gereist, um ihr Bestes zu geben – oder, um es mit den Worten der Leiterin des Treffens, Dr. Christel Hoffmann, zu sagen, zwecks „Standortbestimmung des Schultheaters und der Theaterpädagogik“.
Ach ja, richtig, die Pädagogik! Die Verbindung Schule und Theater klingt nach strengster Auslegung Schillerscher Anschauungen, nach Erziehung hoch zwei. Zur Lust am Spiel gesellt sich flugs die Last – daß uns das keiner vergesse! Das Theater als Therapie mit aktuellem Stundenplan verzeichnet die unbestritten wichtigen Themen Gewalt(verhinderung), soziale Ausgrenzung und Ausländerfeindlichkeit. „Wir sagen Nein zur Ausländerfeindlichkeit! Nous disons non au rassisme!“ Das proklamiert denn auch die Vier-Länder- Gruppe „Quatre-Quarts“ im Prolog ihres Stückes „Trait d'union – Verbindungsstriche“, in der es improvisatorisch und pantomimisch um soziale Ausgrenzung geht.
Und dann ereignet sich spät in der Nacht in der Berliner U-Bahn, nicht auf der Bühne, folgende Szene: Ein betrunkener „junger Herr“, ein sogenannter Red-Skin (mit Aufnäher „Gegen Nazis“), beginnt zu pöbeln, zu schlägern, schließlich tritt er seinem Nachbarn mit Springerstiefeln gegen die Schläfen. Einfach so. „Wir waren froh, daß wir gerade an einer Haltestelle waren und nichts wie raus konnten“, so einer der Leiter der Gruppe „Quatre-Quarts“ in der Diskussion nach der Aufführung. In Berlin müsse man sich ja nur in die U-Bahn setzten, da bekomme man Anregung genug...
Das echte Leben auf der Bühne, das macht sich immer gut – aber was tun im echten Leben, so die Frage aus dem Publikum. Einschreiten? So, wie es vorher auf der Bühne gezeigt wurde? „Da kann man doch nichts ausrichten, da muß schon die Polizei her“, wehrt sich einer der Jugendlichen gegen die Vorwürfe. Sein Leiter ergänzt: Der Punkt sei doch, daß es nach dieser (seiner) von Gewalt befreienden Theaterarbeit irgendwann kein gewalttätiges Einschreiten mehr brauche, da solche Szenen nicht mehr vorkämen...
Selbst wenn man der Vier-Länder-Gruppe aus Belgien, Deutschland, Frankreich und Luxemburg und auch der deutsch-polnischen Gruppe (Phönix-Theater, Berlin, und Teatr Klaps, Bialystok) zugute hält, daß sie aufgrund schwieriger Probenverhältnisse (keine gemeinsamen Ferien oder schulfreie Samstage), zu kurzer Probenzeiten und der Sprachbarrieren im Workshop-Stadium steckengeblieben waren und auf einfache Bilder zurückgreifen mußten (kritisiert wurden trippelnde Chinesen und rundum gute „Ausländer“ bei den Quatre-Quarts), bleibt eine Frage – unausgesprochen – das Festival über präsent: Wieviel aufrechte moralische Hilfestellung, wieviel Zeigefingerpädagogik verträgt ein Schüler- oder Jugendtheater? Und wieviel politischen (Einigkeits-)Demonstrationswillen vertragen ein Theatertreffen und vor allem die betreffenden Gruppen, Spielerinnen und Spieler? Beider Gruppen Spiel nämlich verbreitete – vor allem angesichts der brav vordergründig demonstrierten und politisch voll korrekten Botschaften – meist eine gewisse Langeweile. Zu sehr war die lenkende Hand der Pädagogen zu spüren, und zu groß war die künstlerische Kluft zu den anderen geladenen Inszenierungen. Für Dr. Christel Hoffmann rechtfertigt jedoch die Standort-Frage (s.o.) die Einladungen: „Wir wollen schließlich zeigen, was alles im Schultheater gemacht wird. Und natürlich war es auch eine politische Entscheidung, diese grenzüberschreitenden Projekte einzuladen.“ Wie beim „großen“ Theatertreffen entscheidet also das wunderbar dehnbare Merkmal „bemerkenswert“ über eine Einladung.
Wirklich bemerkenswert und spannend wird es jedoch erst da, wo ein lebendiges, dreistes Spiel wie bei „The Wild Bunch“ entstehen kann. In der Regie von Ilka- Cordula Felcht bleibt der „unverbogene“ Spaß spürbar, der auch die dunklen Seiten der Spieler zuläßt. Zum Beispiel eben Aggressionen – „und das muß man auch zeigen, daß Gewalt eine Faszination hat“, so Marcel. Auch Christin „turnt es total ab, wenn es auf dem Theater immer so brav und eindeutig zugeht“.
Dennoch hat ihr Spiel eine „befreiende“, mit Konventionen brechende „Botschaft“: Die Jungfer braucht partout drei Männer. Auch der Bewegungstheatergruppe der Ziehenschule Frankfurt/Main geht es in „Meinwärts“ um Frauenbefreiung. Neun Schülerinnen, von der Punkerin bis hin zur Architektin, Schauspielerin, Hausfrau, „Verrückten“ und der wunderbaren „kleinen Geliebten“, winden sich im Tanz mit ihren Stühlen und unter strenger Choreographie aus ihren Fesseln. Zum Kampf und zeitweisen Scheitern sprechen sie Texte von Tschechow, Borchert, Moholy-Nagy, Picasso und Cowling. Auch das könnte ein schulmeisterlicher Keulenschlag sein, doch die Ideen der Gruppe und die Regie des einzigen Mannes waren klüger: Sie setzen auf intelligente Sinnlichkeit.
Bis 3.6. sind noch zu sehen: „Der Drache“, Theaterwerkstatt im Verein „Arbeiten und Lernen in Mühlhausen e.V.“, heute, 20 Uhr, und „Romeo und Julia“, „Harlekin“ Schülertheater, Kölleda, morgen, 20 Uhr, beides in der Wabe, Dimitroffstraße 101, Prenzlauer Berg.
„The Wild Bunch“ ist am 11.6. mit „Request Stop“ im carrousel- Theater zu sehen und mit der „Klugen Jungfer“ am 23.9. in der Musikschule Pankow.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen