Der Krieg als Ikone moralischer Überlegenheit

■ John Major wollte den D-Day mit Partys feiern, doch die Briten protestierten

London (taz) – „Die Briten sind besessen vom Zweiten Weltkrieg“, sagt der Journalist Martin Woollacott, „heute ist das neurotische Bewußtsein der deutschen Macht eines unserer nationalen psychologischen Probleme.“ In Großbritannien haben Weltkriegsjubiläen eine Bedeutung, die sie bei den anderen ehemaligen Alliierten nicht haben. Martin Woollacott: „Der Krieg ist zumindest für einige Briten eine Art Ikone für unsere moralische Überlegenheit, die sich hinter dem äußerlichen Erscheinungsbild des Niedergangs verbirgt. Großbritannien hat heute sehr wenig gemein mit der Supermacht, die zwischen 1939 und 1945 einen Krieg an vielen Fronten in der ganzen Welt führte.“

Weil es die Erfolge auf dem Schlachtfeld waren, die Britanniens große Zeit charakterisierten, haben militärische Erfolge einen einzigartigen Stellenwert erhalten, glaubt Woollacott. So verhalf der Malvinenkrieg Margaret Thatcher zum Wahlgewinn, so ist man heute stolz auf die britischen Truppen in Bosnien. John Major wollte sich diese Tradition zunutze machen und hatte gehofft, mit bombastischen Festlichkeiten zum „D-Day“ sein angeschlagenes Image ein wenig aufzubessern. Der Premier wollte den 50. Jahrestag der Truppenlandung in der Normandie landesweit mit Straßenpartys feiern lassen. In den Schulen sollten die Hits der 40er Jahre gesungen werden, landesweit sollten Kochwettbewerbe mit Kriegsrationen stattfinden, und bei einem Schönheitswettbewerb wollte Major eine betagte „Miß 1944“ küren lassen. Als Höhepunkt hatte er sich ein Fest für 300.000 Menschen im Londoner Hyde Park ausgedacht.

Die Veteranenverbände gingen auf die Barrikaden. „Das ist doch nicht der Augenblick für Straßenfeste“, erboste sich der 71jährige Ron Eastwood, der vor 50 Jahren am Gold Beach landete. „Ich habe so viele Männer sterben sehen, da ist mir wahrlich nicht nach Feiern zumute.“ Auch Ludovic Kennedy, Schriftsteller und Kriegsveteran, meint, Major sei nicht recht bei Trost. „Kann sich denn jemand vorstellen“, fragte er, „daß sich die Leute lustige Hüte aufsetzen und auf der Straße tanzen?“ Feiern könnte man im kommenden Jahr, wenn sich das Kriegsende zum 50. Mal jährt, sagten auch die Veteranenverbände. Als die Sängerin Vera Lynn – die britische Lale Andersen – verkündete, daß sie unter diesen Umständen nicht an den Feiern teilnehmen werde, lenkte Major schließlich ein und verschob die Feste auf nächstes Jahr.

Viele Veteranen wollen überhaupt keine Jubelfeiern, viele besuchen auch ohne ein rundes Jubiläum einmal im Jahr den großen Soldatenfriedhof in Bayeux, wo 5.000 britische Soldaten begraben sind. Wenn Feste dennoch ausgerichtet werden, dann ohne die Deutschen, darin sind sich die meisten Kriegsteilnehmer einig. Sie sind wütend auf Major, weil er deutsche Soldaten zur Siegesparade am 7. Mai 1995 nach London eingeladen hat. „Ich werde ihnen die Feier ruinieren“, drohte der 73jährige D-Day-Veteran John Bull. Er hat sein Leben lang im Londoner Eastend gewohnt, das von den Nazis in Schutt und Asche gelegt worden ist. „Es ist mir egal, ob sie Panzer haben. Ich werde für die Jungs leiden, die wegen der Deutschen gefallen sind.“ Und der 72jährige Monty Lewis sagt, es sei zu früh für eine Wiederannäherung, solange seine Generation noch nicht unter der Erde sei. Er fragt: „Wäre eine solche Prozession denkbar, wenn Winston Churchill noch lebte?“

Der Enkel des Kriegspremiers kann sich das jedoch durchaus vorstellen. „Es ist an der Zeit, das Kriegsbeil zu begraben“, sagt Winston Churchill junior. „Man sollte das Ganze als einen der Bürgerkriege Europas sehen, den wir mit einem Handshake hinter uns bringen. Mein Großvater hatte recht, als er sagte: In der Niederlage Trotz, im Sieg Großmut und im Frieden Wohlwollen.“

Zum D-Day sind wieder Biographien von Churchill und Montgomery erschienen, in denen beide allerdings nicht ungeschoren davonkommen: Der Kriegspremier soll ein Säufer und Antisemit gewesen sein, der Feldmarschall ein Frauenfeind und Leuteschinder. Von den Veteranen sind sie jedoch längst zur Legende erhoben worden. Ralf Sotscheck