: Auf Trampelpfaden
Resümee einer Tunesienreise: Massentouristen bleiben wenigstens auf markierten Wegen ■ Von Bettina Fink
Sechs Uhr früh am Eingang zur Altstadt des tunesischen Sousse. Der Jeep fährt schwungvoll vor. In voller Berbermontur stemmt sich Ali (Name nicht geändert) aus dem Wagen und begrüßt uns mit Handschlag und einem dahingemurmelten „guten Morgen“. Noch sind wir die einzigen Mitfahrer und gespannt darauf, wie die angekündigten restlichen sieben Personen im Wagen dazugekeilt werden sollen. Als Begleiter vorgestellt haben wir uns abenteuerlustige Freaks, eingestiegen sind zwei dreiköpfige Familien. Die abenteuerlich-einsame dreitägige Jeeptour wächst schließlich zu einer Karawane von 14 Fahrzeugen an. Wie ein Hornissenschwarm überfallen wir die dünnbesiedelte tunesische Sahara. Die Unterschiede zur herkömmlichen Bustour im bequemen 50-Sitzer sind auf die Enge im Jeep, die nicht vorhandene Klimaanlage und die betont einfache Unterkunft beschränkt.
Organisiertes Abenteuer als Köder: Eigentlich hätten wir es besser wissen müssen. Doch nun sind wir in den Klauen der Tourismusmafia gelandet.
Erster Zielpunkt: das Amphitheater in El Djem, das drittgrößte des römischen Imperiums und zudem besser erhalten als das Kolosseum in Rom. Wir erledigen es en passant in 20 Minuten. Raus aus den Jeeps, eine Runde um die imposanten Ruinen, und wer sich dann noch eine Innenansicht des Komplexes gönnen will, verzögert die Weiterfahrt. Die Rüge des inzwischen dazugestoßenen Reiseleiters Muhammed folgt auf dem Fuß. Zeit für Muße oder unerwartete Entdeckungen ist nicht vorgesehen. Das Programm, zum Korsett erstarrt, läßt selbst aufgeweckte Urlauber irgendwann in die ach so wohlige Passivität abgleiten.
Sfax, die zweitgrößte Stadt Tunesiens und zugleich Wirtschafts- und Handelszentrum der südlichen Regionen, lassen wir links liegen. Zuwenig touristische Attraktionen. Dabei wäre sie gerade deswegen interessant: Der Souk, also der Markt der Stadt, ist fast nur von Einheimischen bevölkert. Nächster Besichtigungsort für uns ist jedoch die Oase Chenini, einige Kilometer von der Provinzhauptstadt Gabés entfernt. Ein Fototermin und eine zehnminütige Wanderung durch die Dattelpalmen schöpfen den Zeitplan aus. Was der Führer von der hart erarbeiteten und durch den sinkenden Grundwasserspiegel (an dem die Touristenhotels nicht unbeteiligt sind) ständig gefährdeten Idylle der Oase zu erzählen weiß, ist problemlos im mitgebrachten Reisehandbuch „Tunesien“ nachzulesen. Dann, nach acht Stunden Fahrt, endlich der Süden. Im Bergland von Matmata hängt der Dunst tief. Eine fast unwirkliche Mondlandschaft breitet sich hier im trüben, vom aufgewirbelten Sand zusätzlich gefilterten Licht aus. Eine faszinierende Gegend. Hauptattraktion in dieser kargen Region sind die Höhlendörfer der Berber, die ihre Wohnungen zum Schutz vor Hitze und Kälte über tiefe Schächte unter die Erde verlegt haben. Als 1969 starke Regenfälle viele der Höhlenwohnungen zerstörten, begann die Regierung mit Umsiedlungsprojekten. Einige Kilometer vor dem alten Ort Matmata wurde Matmata-Nouvelle aus dem Boden gestampft. Trotz besserer Infrastruktur wird die Alternative nicht von allen Berbern angenommen. Viele Familien haben sich nach einer Probezeit wieder in ihre alten Höhlenwohnungen zurückgezogen oder haben sich den Modernisierungsbestrebungen überhaupt verweigert.
Kaum ein touristisches Rundfahrtprogramm kommt kurz nach Neu-Matmata an „Fatimas Haus“ mit dem auffällig großen Parkplatz vorbei. Auch wir nicht. Die zur Besichtigung freigegebene Als-ob- Wohnhöhle gewährt voyeuristische Einblicke in die Räume und Lebensgewohnheiten der Bewohner und fängt den Strom der Ausflugstouristen ab. Das Konzept solcher pseudo-lebensechter Touristenfallen macht Sinn. Das faszinierende Hinterland mit seinen relativ unberührten Dörfern wie Beni Mentir, Beni Aissa, Taoujout oder Beni Zelten, mit meist noch bewohnten Schachthöhlen und auf Sandpisten nur schwer erreichbar, wird damit vor dem Zugriff des Massentourismus geschützt. Die offiziellen Reiseveranstalter halten sich sehr dicht an die ewig gleichen Routen, neben denen der Tourismus sowieso schon gravierende Spuren hinterlassen hat. Bei jedem Stopp der Jeeps, und sei's im verschlafensten Bergdorf, spielt sich dasselbe Schaustück ab. In Sekunden steigen im angepeilten Café die Preise rapide in die Höhe. Kinder hängen sich an Urlauber wie Kletten, betteln oder versuchen absolut unbrauchbare Souvenirs loszuwerden.
Am nächsten Tag passieren die Jeeps Kebili, einen mit Thermalquellen gesegneten ehemaligen Umschlagplatz der Sklavenkarawanen aus Schwarzafrika, und brettern durch die Salzwüsten des Chott el Cherid, lange Staubfahnen hinter sich herziehend, nach Tozeur. Die absolute Attraktion im dortigen Wüstenzoo: ein Coca- Cola trinkendes Kamel. Nahe der algerischen Grenze, das Atlasgebirge im Rücken, fahren wir die touristengewöhnten Bergoasen Chbika und Tamerza an. In Tamerza bietet sich ab Ende April eine Schlafhüttensiedlung als Unterkunft an – wenn sie nicht gerade von den Jeeptouristen in Beschlag genommen ist. Midés, der ruhigsten und etwas abseits gelegenen der drei Bergoasen, bleibt unser Überfall erspart. Dafür hat sich Wüstenfuchs Rommel hier ein zweifelhaftes Denkmal gesetzt. Die erste befahrbare Straße durch diese Gegend haben seine Pioniere im Zweiten Weltkrieg gelegt.
Es ist schön, dieses Gebirge mit seinen zerfurchten Felslandschaften in rot-goldenen Tönen, mit tiefen Schluchten, die manchmal vage Vergleiche mit dem Grand Canyon heraufbeschwören. Uns bleiben imposante Eindrücke, trotz des üblichen Zeitdrucks. Und vor allem der Wunsch, diese Gegend eines Tages selbst zu erkunden.
Einige Kilometer weiter tauchen wir in die Phosphatabbaugebiete rund um Metlaoui ein. Kilometerlange Förderbänder transportieren den Bodenschatz talwärts, von wo aus er über eigene Eisenbahnlinien zu den Häfen und in alle Welt verschickt wird. Etwa 14.000 Personen sind in der staatlichen Phosphatgesellschaft beschäftigt und größtenteils in Wohnsiedlungen rund um die Bergwerke untergebracht. Eine kleine Welt für sich.
Daß sich auf der Weiterreise wie zufällig ein Nomadenzeltdorf direkt an der Touristenroute niedergelassen hat, war fast zu erwarten. Daß das weibliche Familienoberhaupt bei der Ankunft der Jeeps sich in Windeseile die Berbertracht über das Alltagsgewand stülpt, um beim angesetzten Fototermin möglichst echt zu wirken, bestätigt unsere Thesen: Gute Darbietungen, wie aus dem Leben gegriffen, und markierte Besichtigungspfade stillen den Appetit der Touristen auf die Ursprünglichkeit der Gastgeber. Und lassen den Rest des Landes die Flut an Reisenden relativ unbeschadet überstehen.
Der Rest unserer Dreitagestour erschöpft sich in der Retourfahrt zu den großen Hotelkolonien nach Sousse, Hammamet, Nabeul und Skanès. Bereits Kilometer entfernt sind die riesigen Hotelanlagen auf Straßenschildern deutlich als „Zone touristique“ ausgeschildert. Damit keine Mißverständnisse aufkommen. Hier leben die Touristen, dort die Einheimischen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen