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50.000 Veteranen und 19 Staats- und Regierungschefs feiern heute den 50. Jahrestag der alliierten Landung in der Normandie. Jede Nation pflegt ihren kleinen Betrug. Deutsche sind nicht dabei – die SS kam schon vorher. Aus der Normandie Bettina Kaps

Die Wallfahrt der Nationen

Eine versöhnliche Geste sollte es sein, die sich der Bürgermeister aus dem Dorf Maizet ausgedacht hatte. Anfang Mai empfing Roger Boulais eine Gruppe deutscher Veteranen mit ihren Familien, die zur Erinnerung durch die Normandie reisten. Wie jährlich unzählige Engländer, Amerikaner und Kanadier suchten auch die deutschen Kämpfer die Totengedenkstätte auf und legten einen Kranz nieder. Zu ihrer Überraschung lasen die Dorfbewohner später auf der schwarzen Schleife die Inschrift: „Veteranen der Waffen-SS, in Gedenken der Toten“. Den Bürgermeister schockierte das offenbar erst, als es von allen Seiten Proteste hagelte. Warum sonst hätte er es den Männern unter Führung des Leutnants Erwin Bachmann auch noch gestattet, sich ins Goldene Buch der Ortschaft einzutragen?

Im Nachbardorf Esquay-Notre- Dame wurden die Veteranen der neunten und zehnten SS-Panzerdivision genauso freundlich empfangen. „Diese Leute sind seit 1972 viermal zu uns gekommen“, sagt der dortige Bürgermeister Antoine Lepeltier. „Ich habe sie nicht eingeladen, aber aus Höflichkeit begleite ich sie. Sie gedenken aller Kriegsopfer.“

Höflicher Empfang für die deutsche Waffen-SS

Für Léon Gautier geht solche Nachsicht zu weit. „Das ist eine Provokation für die Widerstandskämpfer und alle anderen, die gekämpft haben, um Frankreich von den Nazis zu befreien“, empört sich der alte Mann, der am Morgen des 6. Juni 1944 als einer von 177 französischen Marinesoldaten der „Forces Françaises Libres“ an der Landung teilgenommen und das Städtchen Ouistreham befreit hat. „Mir geht es nicht um die Deutschen, die das getan haben, die setzen halt ihre Nazi-Propaganda fort. Doch die beiden Bürgermeister hätten diesen Besuch niemals erlauben dürfen.“

Für Versöhnung, aber nicht um jeden Preis

Auch Gautier ist für Versöhnung, doch nicht um jeden Preis. So hat er gar nichts gegen das große Trostpflaster einzuwenden, mit dem der Staatspräsident dem Bundeskanzler nun über den Ausschluß von den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag hinweggeholfen hat: Vergangene Woche lud François Mitterrand die Soldaten des Eurocorps – Belgier, Luxemburger, Spanier und Deutsche – sowie deren Regierungschefs zum französischen Nationalfeiertag ein. „Von mir aus können deutsche Soldaten am 14. Juli auf den Champs-Élysées defilieren“, sagt Gautier, der sich durchaus daran erinnert, daß deutsche Besatzungssoldaten 1940 dieselbe Übung durchexerziert hatten. Doch bei den Zeremonien an den Stränden der Landung hätten die Deutschen nun wirklich nichts zu suchen: „Schließlich wäre Napoleon auch nie nach Waterloo gereist.“

Gar nicht versöhnlich gestimmt ist Arlette Gondrée-Pritchett, die Wirtin eines kleinen Cafés an der Pegasus-Bridge, das mit alten Uniformen, Helmen, Waffen, verstaubten Fotos und Erinnerungsbriefen vollgestopft ist. „Dies ist das erste Haus, das die Briten am Morgen der Landung befreit haben“, sagt sie stolz. Um Mitternacht waren ein paar Meter entfernt sechs Lastensegler gelandet; in wenigen Minuten nahmen die Soldaten die Brücke ein, die den Vormarsch auf Caen ermöglichen sollte, und „eroberten“ auch das Café.

„Die Briten, die ihre Kameraden auf den Friedhöfen in der Normandie beerdigt haben und die teilweise noch heute unter den damals erlittenen Verletzungen leiden, sie wollen hier keine Deutschen sehen“, sagt die Wirtin kämpferisch.

Britische Atmosphäre ohne deutsche Schulkinder

Man könnte leicht vergessen, daß sie erst vier Jahre alt war, als die Besatzer wichen. Doch Madame Gondrée, die einen Briten geheiratet hat, lebt von der, wie sie betont, „britischen Atmosphäre“ ihres Cafés, das sie in eine Wallfahrtsstätte für britische Veteranen verwandelt hat. Ob alte Kämpfer oder wißbegierige Schüler – in ihr Café läßt sie keine Deutschen.

Frau Gondrée ist eine Ausnahme. Die Mehrzahl der Franzosen hätte es durchaus begrüßt, wenn die Deutschen am nichtmilitärischen Teil der Zeremonien beteiligt worden wären. „Daß der Bundeskanzler zu der großen Friedensfeier nach Caen nicht eingeladen wurde, beweist, daß es keine restlose Versöhnung gibt“, meint Rémy Desquèsnes, Historiker am Friedensmemorial in Caen. Der Bürgermeister der Stadt, Jean-Marie Girault, hatte im April noch versucht, Kohls Wunsch zu erfüllen. Doch der nahm die Einladung erst gar nicht entgegen, weil sie nicht vom Élysée kam. Nun wird lediglich der deutsche Botschafter beim Friedensfest dabeisein. „Jour J mit einem Abwesenden“, bedauerte dieser Tage ein Leitartikler der Tageszeitung Libération: Denn „auf gewisse Weise ist auch die deutsche Demokratie eines frühen Morgens auf den normannischen Stränden geboren worden“. Die Landung stehe eben nicht nur für das, was beendet wurde, nämlich Nazi-Herrschaft und Okkupation, sondern auch für das, was sie ankündigte: freie und friedliche Gesellschaften.

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