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Möchtegern-Emigranten als Spielball

Kubas Botschaftskrise geht in die dritte Woche – ein Test für die Ausreisepolitik Kubas wie für die Einreisepolitik der USA / Sind die „Ausreiser“ peinlich oder ein bequemes Ventil?  ■ Von Bert Hoffmann

Berlin (taz) – „Botschaftsbesetzung“ – ein Wort, bei dem die Alarmlampen aufleuchten, seit der Zusammenbruch der DDR 1989 in den bundesdeutschen Vertretungen in Prag und Budapest begann. Morgen nun geht die Besetzung der belgischen Botschaft in Havanna durch 124 ausreisewillige Kubaner in die dritte Woche, bislang noch immer ohne Lösung, aber auch, ohne eine Kettenreaktion losgetreten zu haben. Das Gebäude ist von Sicherheitskräften abgeriegelt, die Haltung der Regierung nach wie vor hart: Niemand, der unbefugt in eine ausländische Botschaft eindringt, wird auf diesem Wege die Insel verlassen; alle Flüchtlinge müssen die Besetzung aufgeben und den regulären Gang der Visaanträge gehen.

Doch das – die Regierung in Havanna weiß es nur zu gut – ist leichter gesagt als getan. Zum einen gibt es noch immer behördliche Restriktionen: So ist beispielsweise Männern unter 28 Jahren, die noch nicht ihren Wehrdienst abgeleistet haben, die Ausreise grundsätzlich verwehrt, ebenso „dringend benötigten“ Fachkräften, die von ihrer Arbeitsstelle kein Plazet erhalten. Oft kann es auch problematisch sein, Kinder mitzunehmen. Und eine doppelte Staatsbürgerschaft gar ist für die sozialistische Regierung in Havanna völlig tabu.

Dennoch: Ganz im Gegensatz zur früheren DDR ist das größere Problem für viele Kubaner nicht die Ausreisegenehmigung, sondern das Einreisevisum für ein Land, das sie aufnehmen würde. Denn an einer massenhaften Einwanderung bitterarmer Kubaner zeigt heute kein Staat der Welt Interesse.

Ganz sicher auch nicht Emigrationsziel Nummer eins, die USA, wo kubanische Immigranten traditionell Privilegien genossen, von denen andere Lateinamerikaner nur träumen konnten.

Zwar erhalten kubanische Boat people, die die Küste Floridas erreichen, einen Empfang erster Klasse – sehr im Unterschied etwa zu ihren Leidensgenossen aus Haiti. Als „Helden“, die unter Einsatz ihres Lebens vor der Diktatur Fidel Castros geflüchtet sind, brauchen sie sich um Aufenthaltsgenehmigungen oder ähnliche Formalien nicht zu sorgen. Die neunzehn Kubaner freilich, deren wrackes Gefährt Ende März auf den Bahamas statt in Florida strandete, hatten Pech. Als sie von dort weiterwollten in die USA, wurden sie von der Küstenwache abgefangen und zurückgebracht. Kubanern, die aus sicheren Drittländern kommen, werde weiterhin die Einreise in die USA verweigert, bekräftigte der Sprecher des US-Außenministeriums. Sie sind als Helden entbehrlich. Als Einwanderer sowieso.

Für nicht wenige Kubaner endet die Überfahrt auf klapprigen Flößen oder zusammengebundenen Autoreifen und -schläuchen ohnehin tödlich. Und um sich auf solch seeuntauglichen Vehikeln auf die tagelange Seefahrt über die Straße von Florida zu wagen, muß man wohl wirklich nicht nur ein gelobtes Land vor Augen, sondern auch echte Verzweiflung im Rücken haben. Für die USA ist die Not dieser Menschen aber in der Tat auch Material für die große Politik.

In Havanna ist die Schlange vor der Interessenvertretung der USA lang, und die Visa-Vergabe ist extrem restriktiv. 20.000 pro Jahr sollten anvisiert werden, war 1984 zwischen Washington und Havanna vereinbart worden – in einem Abkommen, das die kubanische Regierung freilich ein Jahr später aus anderen Gründen suspendierte. Die tatsächliche Zahl liegt heute weit darunter. Man wolle Castro kein bequemes Ventil geben, die Kubaner außer Landes zu treiben, anstatt ihnen Freiheit in Kuba zu gewähren, so die Argumentation Washingtons. Indem sie legale Ausreisen blockieren, so der Gegenvorwurf Havannas, wollen die USA nur zu Botschaftsbesetzungen und illegaler Flucht anstiften, was sich medienwirksam gegen die Regierung Castro ausschlachten läßt.

Die politische Ventilfunktion der Auswanderung hat dabei in Kuba in der Tat Tradition. Schon nach der Revolution 1959 war die neue Regierung Fidel Castros zufrieden gewesen, die großen gesellschaftlichen und politischen Konflikte weitgehend durch die Emigration ihrer Gegner lösen zu können. Und noch 1980 ließ sie ganz bewußt eine Botschaftsbesetzung zur Massenflucht eskalieren: Sie zog alle Wachposten ab, bis sich auf dem Gelände der peruanischen Botschaft nicht weniger als 10.685 Menschen zusammendrängten. Die ausreisewilligen Kubaner wurden wüst als „Würmer“ und „Abschaum“ beschimpft und in etlichen Fällen auch mißhandelt, aber die Regierung in Havanna gab den Hafen von Mariel zur Ausreise frei. Ein Massenexodus setzte ein. Das Ausland war unter Zugzwang. Washington genehmigte eine riesige Evakuierungsaktion, und in wenigen Tagen konnten mehr als 125.000 Flüchtlinge Kuba in Richtung Miami verlassen.

Für die Carter-Regierung wurde diese Massenimmigration eine der größten innenpolitischen Zerreißproben. „Mariel“ ist bis heute in den USA ein Trauma, das niemand wiederholen möchte. Und jetzt, wo die wirtschaftliche Situation auf der Insel ungleich katastrophaler ist als 1980, wären zweifelsohne auch die Dimensionen einer Fluchtbewegung noch um etliches größer. Daran, wie damals in die Offensive zu gehen und einfach die Dämme zu öffnen, denkt heute jedenfalls auch die kubanische Regierung nicht im Traum; zu unkontrollierbar wäre die Situation. Als vor wenigen Tagen das Gerücht die Runde machte, auch die in der Nähe der belgischen Botschaft gelegene Vertretung Argentiniens solle besetzt werden, wurden die Sicherheitskräfte im Botschaftsviertel verstärkt, zusätzliche Patrouillen mit Sturmgewehren schieben Wache.

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