: Sieg der Basis über die Schwulen-Funktionäre
■ Schwulenverband sagt Kranzabwurf an Neuer Wache ab / Drei Schwule mobilisierten prominente UnterstützerInnen
Bei der Christopher-Street- Day-Parade am 18. Juni wird es keine Kranzniederlegung an der Neuen Wache Unter den Linden geben.
Nach einem Gespräch mit den Initiatoren einer von Prominenten unterstützten Gegeninitiative hat der Schwulenverband in Deutschland (SVD) die umstrittene Aktion am Samstag abgesagt. Dies wäre das erste Mal gewesen, daß eine gesellschaftliche Gruppe Kohls Gedenkstätte genutzt hätte.
„Dieser Verzicht bedeutet für uns nicht, daß wir von der diesbezüglichen politischen Aussage abrücken“, heißt es in einer Erklärung des Berliner Landesvorstandes. Zugleich wird eingeräumt, daß es „durchaus diskutable Sachargumente“ gegen die Aktion gebe. KritikerInnen hatten eine Kranzniederlegung an des Kanzlers „Zentraler Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ abgelehnt. Am gleichen Ort der Täter wie der Opfer zu gedenken, komme einer „Verhöhnung der Opfer“ gleich, protestierten die KritikerInnen.
Bodo Mende vom Berliner SVD vertrat gegenüber der taz die Ansicht, daß auch ein 21jähriger Wehrmachtssoldat, der an die Front geschickt wurde und dort umkam, Opfer sei. Jetzt, wo die Neue Wache als nationales Denkmal da sei, müsse man sich dazu verhalten und es „mit schwulen Inhalten füllen“. Mende versuchte die Aktion auch damit zu legitimieren, daß der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, bei der Einweihung der Neuen Wache im November 1993 anwesend war. Daß der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Jerzy Kanal, und viele andere aus Protest ferngeblieben waren, versuchte er als „Berliner Angelegenheit“ abzutun. Als Grund für den Rückzieher nannte der SVD auch die „mehr oder weniger deutliche Drohung mit Gegenaktionen“. Man wolle „bestimmten politischen Gruppen keinen Vorwand liefern“, die Parade „durch militante Aktionen zu stören“.
Tatsächlich dürfte es aber vor allem die lange Liste prominenter UnterstützerInnen aus der Lesben- und Schwulenbewegung gewesen sein, die den SVD zur Absage veranlaßte. Diese ging auf eine Initiative von zwei Berliner Studenten der Politik und Geschichte und einem Krankenpfleger zurück, die keiner Gruppierung angehören. Sie versuchten zunächst, den SVD in einem Briefwechsel von seiner Aktion abzubringen. Als dies erfolglos blieb, verfaßten sie einen Aufruf, den innerhalb weniger Tage rund 40 Prominente und Institutionen der Lesben- und Schwulenbewegung unterzeichneten. Ermutigend fand Gerhard Stüber, einer der Initiatoren, daß „wir gar nicht viel erklären mußten. Es bestand einfach Konsens darüber, daß die Aktion politisch fatal ist.“ Dorothee Winden
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