: Nur noch einer unter vielen
■ Sozialstationen: weniger Geld / Ambulante Pflege: mehr Markt
Werden da Monopole gebrochen oder Ungerechtigkeiten abgebaut, soziale Errungenschaften geopfert oder notwendige Veränderungen eingeleitet? Viele Meinungen, ein Thema – bei dem eins sicher ist: Es wird sich einiges ändern bei der ambulanten Pflege kranker und alter HamburgerInnen. Mehr freier Markt als subventionierte Pflegeangebote, so die Stoßrichtung der Sozialbehörde. Sie machte nun den Anfang, indem sie die Zuschüsse der 42 von freien Wohlfahrtsverbänden betriebenen Sozialstationen drastisch zusammenstreicht.
„Die Behörde zerschlägt gewachsene Strukturen“, protestierte Caritas-Geschäftsführer Thomas Willmann gestern. Und mehr noch: Laut Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege überläßt sie „die Hilfebedürftigen und ihre Helfer dem freien Spiel eines Marktes, der sich - unkontrolliert - noch nicht gefestigt hat“. Ein zukunftsträchtiger Markt, um den hart gekämpft wird. Und an diesem Kampf sollen sich nach Ansicht der Sozialbehörde nun auch die Wohlfahrtsverbände beteiligen. Im kommenden Jahr sollen die Stationen daher nicht mehr acht Millionen Mark erhalten, sondern nur noch zwei Millionen.
Vor 13 Jahren hatte die Hansestadt gemeinsam mit den Verbänden begonnen, ein „flächendeckendes und bedarfsgerechtes Netz“ von Sozialstationen aufzubauen. Inzwischen steht aber fest: Nicht die städtisch subventionierten Häuser, sondern die freien und gewerblichen Anbieter erbringen den Hauptteil der häuslichen Pflege. Laut Behördensprecherin Christina Baumeister rund 60 Prozent – daher könne das Sozialstations-Konzept „nicht länger aufrechterhalten werden“. Und auch nicht deren Besserstellung gegenüber den anderen Anbietern.
Die Wohlfahrtsverbände sehen das ganz anders: Die Zuschüsse seien ihnen für „zusätzliche Aufgaben“, wie Beratung und Weitervermittlung der Klienten sowie Koordination der Arbeit gezahlt worden, sagt Gert Müssig vom Diakonischen Werk. Aber vor allem führe die Streichung zu einer grundlegenden Änderung der Konzeption ambulanter Pflege. Sollten die Ein–sparungen vorgenommen werden, sähen sie sich an den Grundsatz, flächendeckend zu arbeiten, nicht mehr gebunden.
„Brauchen sie auch nicht“, sagt Christina Baumeister dazu. Die Wohlfahrtsverbände sollten künftig auch nur noch ein Anbieter unter vielen sein, da sei es durchaus möglich, daß Sozialstationen geschlossen werden müssen. Überdies strebe ihre Behörde in der Tat eine Neuorganisation der ambulanten Pflege an, und zwar mit dem Inkrafttreten der Pflegeversicherung zum nächsten Jahr. Dann sollen regionale Koordinierungsbüros den Bürgern als Ansprechpartner dienen. Eine neue Aufgabe, nach der sich Wohlfahrtsverbände gestreckt hatten, die aber nun von einem Verbund aller Anbieter wahrgenommen werden soll. Das Geld dafür soll aus den Eingesparungen bei den Sozialstaionen aufgebracht werden.
sako
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